: „Kurzfristige Sensationsforschung“
WISSENSCHAFT Warum an deutschen Hochschulen keine Ebola-Medikamente entdeckt werden, erklärt der Pharmakologe Eschenhagen
■ 54, ist Direktor des Instituts für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Sprecher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Sein Forschungsschwerpunkt ist das Herstellen von künstlichem Herzgewebe aus menschlichen Stammzellen. Seit 2008 ist der Mediziner Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
INTERVIEW HEIKE HAARHOFF
taz: Herr Eschenhagen, im Kampf gegen Ebola hat sich die akademische Forschung nicht mit Ruhm bekleckert: Es ist Aufgabe öffentlicher Gesundheitssysteme, Arzneimittel zu entwickeln für Krankheiten, für die sich die Industrie aus ökonomischen Gründen nicht interessiert. Warum ist das über Jahre nicht geschehen – weder bei Ebola noch bei anderen Erregern?
Thomas Eschenhagen: Zu Ebola hat es durchaus Forschung gegeben, auch an deutschen Universitäten. Sie ist nur nicht dahingehend abgeschlossen worden, dass man am Ende einen einsatzfähigen Impfstoff gehabt hätte.
Woran liegt das?
Akademische Forschung ist ungerichtet. Ihr Antrieb ist das Interesse zu verstehen, wie die Biologie funktioniert und wie es zu Störungen der normalen Funktionen kommt. Das ist zunächst einmal wertfrei zu verstehen, wie etwas geht. Und das ist ein hoher Wert, wissenschaftliche Neugier ist die Basis aller Entdeckungen. Irgendwann verbindet sich damit die Hoffnung, dass, wenn man besser versteht, auch besser behandeln kann. Indem man etwa besondere Enzyme oder Proteine identifiziert, die beispielsweise nur ein Virus kodiert. Da könnte ein Mikrobiologe auf die Idee kommen, daraus ein Medikament zu machen.
Aber dafür fehlt ihm das Geld?
Wenn es mal bloß so platt wäre. Wir wissen: Der Erfolg eines Medikaments hängt keineswegs ausschließlich damit zusammen, wie gut das Medikament ist, sondern auch, wie gut der Apparat ist, der diese Medikamente entwickelt. Die wenigsten Universitäten verfügen etwa über aufwendige Screening-Programme, um die Wirkung von Substanzen auf ein komplexes System untersuchen zu können.
Diesen Part könnte die Industrie übernehmen?
Theoretisch ja. Praktisch sind die Gräben tief. Es mangelt an Kommunikation – zwischen Universitäten und Industrie, aber auch zwischen Universitäten und regulatorischen Behörden. Viele Akademiker halten es moralisch für anrüchig, mit der Industrie zu kooperieren, aber das ist Unsinn: Auch die akademische Forschung hat eine Verpflichtung, das Steuergeld, über das sie verfügt, zum Nutzen der Menschheit einzusetzen. Wir schweben nicht im luftleeren Raum.
In der Industrie dauert es schon mal zehn Jahre, Arzneien zu entwickeln – selbst dann passiert es, dass am Ende nichts heraus kommt. Haben akademische Forscher diese Zeit?
Wir leben an den Universitäten zunehmend von der Hand in den Mund. Vielerorts sind die Universitäten von Grundförderungsmodellen umgestiegen auf Projektfördermodelle. Wir kämpfen gegen eine permanent schrumpfende Grundausstattung und müssen den Großteil unseres Bedarfs über Drittmittelverträge reinholen.
Was ist daran so schlimm?
Diese Projekte laufen über ein, drei oder maximal fünf Jahre. Diese Zeitspannen sind viel zu kurz, um so etwas Mühsames wie Arzneimittel zu entwickeln. Die Erstentdeckung des Prinzips, wie ein Medikament funktionieren könnte, wirft – wenn man Glück hat – ein Paper in einer renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift ab. Aber den Versuch zu wiederholen und zu zeigen, dass das Mittel unter anderen Bedingungen immer noch funktioniert, empfinden viele akademische Forscher als langweilig und es lohnt ihnen keiner. Deswegen macht es keiner.
Ist das eine Frage der Anreize?
Die Anreize im akademischen System sind leider nicht so gestaltet, dass man die Ausdauer fördert, die man in der Arzneimittelentwicklung braucht. 80 Prozent unserer Leute haben maximal Fünfjahresverträge. Wenn sie in dieser Zeit nichts publizieren, wissen sie, das war’s. Also publizieren sie im Zweifel – irgendwas. Wir werfen der Industrie gern vor, sie sei money-driven. Aber dann muss man auch sagen, die akademische Forschung ist glory-driven.
Was spricht gegen Ruhm und Ehre?
Unsere Währung sind Paper, wissenschaftliche Fachaufsätze. Je mehr Paper, je größer, je spannender, desto besser.
Besser wofür?
Für die eigene Karriere. Für die Drittmittel für das eigene Institut. Der ewige Wettbewerb macht die Leute aktiv. Aber er garantiert keinen echten Fortschritt. Unser System fördert nicht unbedingt vernünftige Therapieforschung, sondern zu oft kurzfristige Sensationsforschung.
Ein Beispiel?
Nehmen Sie die Stammzellen. Die waren vor 15 Jahren der große Hype. Alle sind auf diese Welle aufgesprungen, aber viele dieser Versprechen haben sich als falsch oder übertrieben herausgestellt. Also ist die Forscherkarawane weiter gezogen.
Was muss sich ändern?
Die deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die die damalige CDU-Bundesforschungsministerin Schavan angeschoben hat, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Mehrere Universitätsklinika und außeruniversitäre Einrichtungen schließen sich zu einem Netzwerk zusammen. Sie erhalten eine jährliche Förderung von 40 Millionen Euro, und zwar auch über den Stichtag der nächsten Bundestagswahl hinaus. So gelingt es zum Beispiel, klinische Studien mit einer vergleichsweise großen Patientenzahl zu machen, die eine einzelne Uniklinik nie hätte rekrutieren können. Man kann die gesamte wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des Netzwerks nutzen und über diesen Weg Studien auch von einer Stufe zur nächsten führen, also zum Beispiel von der Maus zum Schwein und dann zum Menschen gehen.