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Archiv-Artikel

Nichts stirbt, schon gar nicht die Poesie

POESIEFESTIVAL BERLIN Am Ende etwas Fremdeln: Die Begegnung von Pop und Lyrik knirscht kurzweilig

Irgendwie hat man sich mit der Nähe zur Macht arrangiert und ist trotzdem kritisch

Unter dem Strich war es ein würdiger Abschluss. Das Poesiefestival Berlin, das in diesem Jahr bereits zum zwölften Mal stattfand, nahm am Freitag mit einem Colloquium zum „Songtext als Dichtung“ und einem abschließenden Konzert im Plenarsaal der Akademie der Künste am Pariser Platz seinen Ausklang. Dabei hat sich das Festival noch einmal von seiner publikumsfreundlichen und spartenoffenen Seite präsentiert.

Doch die Annäherung der einstmals getrennten und mittlerweile von einander weitgehend entfremdeten Schwestern, nämlich der Lyrik und der deutschsprachigen Liedkunst, war ein Vorhaben, das trotz allen Bemühens nicht so recht klappen wollte. Da schaute die eine Kunst skeptisch auf die andere.

So gab es einige irritierende Momente auf dem Colloquium, das der gut vorbereitete Hildesheimer Professor Stephan Porombka moderierte. Alfred Hilsberg, Labelbetreiber und einer der Vorväter der „Neuen Deutschen Welle“, hatte einen historischen Abriss der deutschsprachigen Musik nach 1977 geliefert – von den Vorläufern der NDW bis zu den Nachläufern der Hamburger Schule. Also mit den für den deutschen Popdiskurs üblichen Verdächtigen. Womit klar wurde: Auch hier wurde der, wenn man so will, deutschen Mittelstandsmusik erneut Genüge getan. Die Repräsentation der Unterschicht im Deutschrap oder eine bestimmt nicht weniger interessante Behandlung der kleinbürgerlichen, vor der NDW einstmals allmächtigen Welt des deutschen Schlagers, wurden nicht in Betracht gezogen. Schade.

Zum Schluss des Hilsberg’- schen Vortrags sollte dann der Siegertitel des von der Zeitschrift Spex ausgelobten Protestsong-Contests 2011 eingespielt werden, nämlich „Festung Europa“ vom Brockdorff Klang Labor. Was tatsächlich erklang, war ein Soundexperiment elektronischer Art, nur leider ohne Text. Also Textlosigkeit als neue Aussage? Aber nein, wie sich in der Pause herausstellte, wurde einfach nur das falsche Stück gespielt.

Etwas hermetisch gerierte sich der Diskurs zwischen Porombka, Hilsberg, Thomas Meinecke und später Max Dax. Erst der Literaturwissenschaftler Lars Eckstein brachte etwas künstliches Licht in die Sache, indem er die Trennung der Schwesterkünste auf das 16. Jahrhundert datierte und in Bezug auf die Lyrik nur noch von einer „Papierkunst“ sprach im Gegensatz zur multimedialen Kunst des Lieds. Lyrik und Lied, das wollte nicht so recht zusammenkommen, und an gelungene Beispiele interdisziplinärer Art (Jörg Fauser, der Achim-Reichel-Stücke betextete, Robert Gernhardts Arbeiten für Otto Waalkes) wollte niemand so recht denken. Nicht so schlimm, kurzweilig war es trotzdem.

Auch weil es keine reine Männerrunde war. Uljana Wolf gab die Quotenlyrikerin mit einer forschen, selbstbewussten Verteidigung ihrer Kunst – die nicht ohne popkulturelle Bezüge auskommen wollte. Auf die Frage, ob sie einmal an Vertonung denken würde, redete sie auch von Rap, allerdings auch von Kantaten. Schließlich kam noch Gustav, die schnell die Rolle des renitenten Starlets übernahm.

Am Abend dann war die Musik ganz unter sich und entspannte Konzentration aufs Zuhören möglich. Thomas Meinecke gab eine gesungene und weitgehend lustige Lesung, und der kamerascheue Peter Licht, der hier nicht anders konnte, als Gesicht zu zeigen, steigerte sich in einen gut abgehangenen, politisch-kritischen Wahnsinn. Er hatte vorsorglich alle Markennamen abgeklebt. Keine Bilder, keine Beschriftungen, weder am Synthesizer noch am Verstärker, das passte zu dem zur sauberen Getragenheit einladenden Plenarsaal oben im Akademiegebäude, mit Blick auf die Quadriga, den Springbrunnen auf dem Pariser Platz, die dunklen Fenster des Hotel Adlon und auf die französischen Botschaft gegenüber. Rauchverbot, Besenreinheit schon vor Konzertschluss, Bier bitte nur in Pappbechern, und ein Sitzkonzert ohne Sitze. Irgendwie hat man sich mit der Nähe zur Macht arrangiert und ist trotzdem kritisch geblieben. Mit Lichts „Liedern vom Ende des Kapitalismus“.

Vorher hatte Eva Jantschitsch, also Gustav, in einem für sie eher untypisch behäbigen Gig für einen weiteren dieser kleinen, besonderen Momente gesorgt. Da blickte sie ins Publikum und sang: „Ihr werdet alle sterben.“ Das traf, da man doch allerseits eher vom Gegenteil ausgehen wollte. Niemand und nichts stirbt, schon gar nicht hier, die Musik nicht, die Kritik nicht, der Kulturbetrieb nicht, die Poesie schon mal gar nicht. Das Festival wird es jedenfalls auch im nächsten Jahr geben, am selben Ort.

RENÉ HAMANN