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Archiv-Artikel

Die Revolution macht nicht froh

BURGTHEATER Jan Bosse inszeniert „Dantons Tod“ – in Wien: Die Geschichte dreht sich im Kreis und die alten Revolutionäre laufen rückwärts

Es geht schlicht darum, auch das Töten für eine gute Sache macht müde und einsam

George Danton (Joachim Meyerhoff) reibt sich immer wieder Tonmasse ins Gesicht und auf den kahlen Schädel, als wolle er schon jetzt die Statue modellieren, die einmal in der Ruhmeshalle der Republik stehen soll für seine Verdienste um die Revolution. Aber er muss immer wieder nachwässern und nachbessern. Wie er auch streicht, kerbt und knetet, es kommt regelmäßig ein Monstrum dabei heraus oder ein misslungener Marionettenkopf, besonders dann, wenn er sich noch lose Haarbüschel oben drauf klebt.

Das Selbst ist eine Baustelle, irgendwo zwischen dem großen Entwurf, der an der begrenzten Formbarkeit des Substrats scheitert und der „eigentlichen“ Gestalt. Wenn man die Masken abreißt, sagt Danton später, werden die Gesichter mitgehen.

Georg Büchner hat als Arzt und Anatom Fischen den Schädel aufgebrochen, ihre Nerven herauspräpariert, um festzustellen, dass sie ein Grundmuster bilden, das sich auch im Menschen findet, nur weit höher entwickelt. Der Krone der Schöpfung ist schon der erste Zacken herausgebrochen. So gehört auch Danton für ihn schon der Erde an, die er sich ins Gesicht schmiert, auch wenn er noch auf ihr läuft. Büchner betrachtet den Menschen ohne den göttlichen Funken, der macht, dass der Mensch Gott beim Namen rufen kann, aber auch ohne das Konzept Sünde.

Trotzdem will er in der bekanntesten Sentenz des Dramas wissen, „was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet“. Das ist schon mit politischer Ökonomie, Evolutionstheorie und Psychoanalyse schwierig, ohne diese Instrumente an der Schwelle zu wissenschaftlicher Weltbetrachtung fast unmöglich. Aber auch am Fortschritt gräbt der Zweifel. In Wien scheint Geschichtserkenntnis in Zirkelschlüssen gefangen. Stéphane Laimé, der Bühnenbildner, lädt an der Burg die Revolutionsutensilien – Schafott, Rednertribüne, Theaterbühne, Gosse, Hurenbett – auf eine Drehbühne. Während sie im Uhrzeigersinn rotiert, torkelt das Personal des Stücks bisweilen somnambul in die Gegenrichtung und landet doch immer da, wo es schon war.

Zerbrechliches Pflänzlein Vernunft

In der Schule lehrte man uns „Dantons Tod“ fälschlich als Vorgriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der Konflikt des Dramas zeige eindringlich, was an der Französischen Revolution notwendig war und womit sie über das Ziel hinaus schoss, weswegen die Deutschen das mit der Revolution gar nicht erst groß betrieben haben und sich mit einer Hegel-Volte unter die Gewalt des preußischen Rechtsstaates philosophiert haben. Da war der dicke, korrupte Genussmensch Danton, der alle drei Schritte unter einem Weiberrock verschwand, immer schon sympathischer als seine eifernden Gegenspieler.

Es gehört zu den Vorzügen von Jan Bosses Inszenierung am Wiener Burgtheater, in der Figurenkonstellation nicht auf die falschen Polarisierungen der Rezeptionsgeschichte hereinzufallen. Es geht nicht um die Frage nach der Legitimität politischer Gewalt, sondern schlicht darum, dass auch das Töten für die gute Sache müde und einsam macht. Wann ist der Punkt erreicht, damit aufzuhören?

Robespierre kommt in Wien als zartes zerbrechliches Pflänzlein der Vernunft daher. Michael Maertens spielt ihn sanft, denkbar unmanieriert, ganz in Schwarz mit hochgeschlossenem Hemd und einem seitengescheitelten Pagenkopf, der an die Dichterin Else Lasker-Schüler erinnern mag. St. Just (Fabian Krüger) liefert in kurzen Pennälerhosen seine alten Freunde ans Messer. Zwei unglückliche Cartesianer. Die Göttin Ratio schaut unerbittlich durch Robespierres unförmige Kassenbrille aus der fahlen schwarzweißen Videoprojektion auf das Geschehen herab. Wenn man ihnen abnimmt, dass allein durch Vernunft sich vernünftige gesellschaftliche Verhältnisse herstellen lassen, kann man ihrer Salamitaktik mit der Guillotine als Argument nur entgegensetzen, dass das Ende der Wurst bald erreicht ist.

Aber auch der gemäßigte Gegenentwurf der vormals Radikalen um Danton macht nicht froh, lässt er nach allen Mühen der Revolution nur die Wolfswesen des Liberalismus von der Leine: Jeder müsse „sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können.“ Wie, das gehe den Staat nichts an. Die Revolution hätte nicht den Menschen befreit, sondern nur den Bourgeois, der seinen privaten Lastern frönt und damit auch noch öffentliche Vorteile zu bewirken glaubt. Sie bringt jenen rationalen Egoisten hervor, der bis heute die Modelle der vorherrschenden Wirtschaftstheorie bevölkert. Dieses Monstrum kann man vielleicht nur ertragen, wenn man es sterblich denkt.

Joachim Meyerhoff formt darum Dantons geschichtliche Reflexion um zur großartigen Arie einer Ars Moriendi. Ein verwundetes Triebwesen, das vom Ausschlag seiner sexuell übertragenen Krankheiten verunstaltet ist, will auf dem Hurenbett sterben oder wenigstens wie Marat in der Badewanne. Zurück bleibt eine traurige, fast intime Geschichte über Tod, Verrat und Resignation in einer Gruppe junger Männer und Frauen.

Gesellschaft? Ja doch, da draußen war mal was. UWE MATTHEISS