: „G 8 sind nicht die Weltenlenker“
Fast über Nacht wurde Michael Hardt, Jahrgang 1960, Literaturprofessor an der Duke University in North Carolina (USA), zu einem Star der globalen Intellektuellenszene. Mit dem Buch „Empire“, gemeinsam verfasst mit Antonio Negri, dem Veteranen der linksradikalen Bewegung Italiens, landete er um die Jahrtausendwende einen politischen Bestseller, an dem sich im Debattenkosmos zwischen New York, Berlin, New Delhi und Rio die Geister scheiden. Im taz-Interview spricht Hardt über sechs Jahre Rückschritt nach Genua und das Erstarken einer „altmodischen Linken“ dank George W. Bushs Kriegspolitik
INTERVIEW ROBERT MISIK
taz: Herr Hardt, sechs Jahre nach den Ausschreitungen in Genua gibt es wieder einen großen G-8-Gipfelsturm. Sehen Sie in diesen sechs Jahren einen Fortschritt? Oder eher Katerstimmung?
Michael Hardt: Der Großteil dieser sechs Jahre war vom Krieg bestimmt – beziehungsweise von den Mobilisierungen gegen den Krieg. Erst der Krieg gegen den Terror, aber vor allem der Irakkrieg. Das war in mehrerlei Hinsicht zumindest eine Ablenkung, wenn nicht ein Rückschlag für diese Bewegung, die zuvor in Genua kumuliert war. Genua hat einen Zyklus abgeschlossen. Vergessen wir nicht, der Gipfel von Genua fand im Juli 2001 statt. Dann kam der 11. September. Freilich: Diese Daten markieren nur eine zufällige Koinzidenz. Die Bewegung war schon davor in gewissem Sinn an eine Grenze gelangt. Genauso kann man aber auch sagen: Die historische Phase, die mit dem 11. September begonnen wurde, geht jetzt auch zu Ende.
Welche Auswirkungen hatte denn der 11. September auf die globalisierungskritische Bewegung?
Sie wurde zu einer Antikriegsbewegung, die die imperialistischen Träume der US-Regierung bekämpft hat. Das war natürlich ein Rückschritt zu einer älteren Form linken Aktivismus – vielleicht ein notwendiger Rückschritt. Es war ja wohl unumgänglich, gegen die Kriegspolitik der amerikanischen Regierung zu protestieren. Man musste diesem Wahn entgegentreten, auch wenn die neoimperialistischen Aspirationen tatsächlich nichts anderes als ein Wahn waren. Aber es war eben auch ein Rückschritt.
Weil das globale Arrangement, das Sie in „Empire“ analysierten, keineswegs von einer hegemonialen imperialen Macht kontrolliert wird?
Exakt. Die Prämisse, dass die USA die globale Politik oder auch nur die Politik im Nahen Osten diktieren können, ist falsch. Sie hat sich mittlerweile auch als falsch herausgestellt. Dieser Unilateralismus hat sich erledigt. Damit hat sich aber auch diese welthistorische Phase erledigt.
Wenn nicht einmal mehr Dick Cheney dran glaubt, dass er die Welt regieren kann, dann sollte auch die globalisierungskritische Bewegung diesen Glauben langsam ad acta legen?
Das würde ich doch hoffen. Ich würde sagen, diese Phase, die mit dem 11. September begonnen hat, hat zwei problematische Denkweisen hervorgebracht. Eine ist eher theoretischer Natur, die zweite eher praktischer. Das theoretische Problem besteht darin, dass das Konzept der Souveränität überbewertet wurde. Das praktisch-kritische Problem hat damit zu tun, dass viele Aktivisten die USA als „imperialistisch“, wenn nicht sogar als „faschistisch“ charakterisieren. Damit geriet aber die Normalität zeitgenössischer kapitalistischer Herrschaft aus dem Blick.
Wir leben also nicht alle in Lagern, wie das ein Strang moderner linker Sozialphilosophie insinuiert?
Theoretische Konzepte des Ausnahmezustandes wurden populär, und sie scheinen Evidenz offenbar auf ihrer Seite zu haben – denken wir nur an Abu Ghraib oder Guantánamo. Das sind Chiffren geworden für eine souveräne Macht, die vollkommen über Recht und Unrecht zu entscheiden vermag. Aber die Idee einer souveränen Macht, die über der Gesellschaft steht, ist meines Erachtens eine Ablenkung von der Beschäftigung mit den wirklichen Entscheidungsformen von Macht, wie sie die Welt heute dominieren.
Was sind die Formen von Macht?
Die bestimmenden Kräfte sind nicht Kräfte souveräner staatlicher Gewalt, sondern Kapitalkräfte, und es sind in der Regel keine Kräfte, die sich gegen das Recht artikulieren, sondern vielmehr in Gestalt des Rechts. Diese Art von Macht war es doch, die die Bewegung für globale Gerechtigkeit bis Genua zu begreifen und auch zu bekämpfen versucht hat – die großen Corporations, die Multis, die globalen ökonomischen Institutionen. Diese sind heute die Gravitationszentren von Macht und nicht ein imaginierter faschistischer Superstaat – auch wenn der von George W. Bush regiert wird und Lager wie Guantanámo einrichtet.
Die Ausnahme ist in diesem Fall also nicht die Regel?
Ja. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht fürchterliche Exempel staatlicher Ausnahmegewalt gibt – Guantánamo, Abu Ghraib sind solche bestürzenden Exempel. Aber man sollte diese nicht als die Essenz zeitgenössischer Machtausübung begreifen. Das jedoch machen viele dieser Diskurse.
Heiligendamm soll nun dort anknüpfen, wo die Bewegung 2001 abgebrochen ist. Aber ist das sehr vielversprechend? Viele Illusionen, die Sie kritisieren, werden durch die Anti-G-8-Mobilisierung noch verstärkt – etwa die, dass sich hier die acht Masters of the Universe treffen.
Nun, da geht es um Symbolik.
Ist so eine Symbolik gut oder schlecht?
Sie ist notwendig. Wenn ich die Fortschritte der Bewegung bis Genua richtig interpretiere, dann ist es doch nicht so, dass sie sich sicherer wurde, wer der Feind ist. Sondern dass sie, wenn man so will, mit neuen Gegnern experimentierte. Man mobilisierte gegen G 8, gegen Nafta, gegen die WTO, die Nato und den IWF sowie die Weltbank. Keiner dieser Gegner ist für sich der Gegner in einem emphatischen Sinn. Den Gegner gibt es nicht. Es gab diesen multiplen Ansatz, ein serielles Experimentieren. Jede Mobilisierung für sich genommen war zu plump, aber im Kontext ergab es ein Netzwerk des richtigen Aktivismus. Und ich glaube nicht, dass allzu viele Leute in den Bewegungen glauben, bei den sieben Männern und der Frau, die sich in Heiligendamm treffen, handele es sich tatsächlich um die acht Weltenlenker, die die Fäden in den Händen hielten. Im Gegenteil: Ich glaube, in den Praktiken der Bewegung findet sehr viel interessante Theoriebildung statt. Die schlägt sich nur nicht in Büchern oder so was nieder. Wir müssen diese Kreativität anerkennen.
Eine dieser Fragen: Wie bekämpfe ich einen Gegner, ohne ihn zu legitimieren? Manche kritisieren, man dürfe an die G-8-Leute keine Forderungen stellen, denn dadurch würde man automatisch auch ihre nicht legitimierte Macht anerkennen. Ihr Rat?
Darüber würde ich mich nicht sonderlich beunruhigen. Sie haben eine gewisse funktionelle Legitimität, egal ob ich, Sie oder die Demonstranten in Heiligendamm Forderungen an sie richten. Die Vorstellung, wir würden ihre Legitimität besonders raffiniert untergraben, indem wir nichts von ihnen fordern, erscheint mir ein bisschen lächerlich. Oder sagen wir es so: Das wäre nicht mein Hauptproblem. Ich würde mich eher fragen, wie soll die Bewegung ihre Forderungen formulieren? Wer spricht für die Bewegung? Wie verhindert man, dass sich Einzelne zu Führern aufschwingen?
In der Realität ist es eine Bewegung ohne erkennbare Führungsfiguren, und man fragt sich, ob das wirklich immer für sie spricht.
Es war jedenfalls einer der Hauptstreitpunkte, mit denen sich die Weltsozialforen herumschlagen mussten.
Die Sozialforen wurden immer mehr zu PR-Events, zu Partys.
Das Tolle sind die transversalen Verbindungen, die unzählige Aktivisten aus aller Welt untereinander herstellten. Viel mehr darf man von den Sozialforen nicht erwarten. Wer glaubt, daraus entsteht die „neue Internationale“, der wird enttäuscht sein.
Sehen Sie die Gefahr einer autoritären Versuchung innerhalb der Linken – schließlich wurde ein Mann wie Hugo Chávez zu einem Posterboy für einen relevanten Teil der heutigen Linken?
Ehrlich gesagt, scheint mir das kein besonders drückendes Problem zu sein. Die Situation in Venezuela ist komplex, es gibt sehr positive Dinge, vieles andere, was geschieht, ist das Resultat von Spannungen. Das vorausgeschickt, sehe ich nicht, dass allzu viele Leute Chávez bewundern oder gar vergöttern. Die Linke, die ich in den vergangenen zehn Jahren kennen gelernt habe, ist nicht sonderlich anfällig dafür, sich einer zentralistischen, charismatischen Führerschaft zu unterwerfen.
Alles in allem sind für Sie die sechs Jahre seit Genua aber eher verlorene Jahre, nicht wahr?
In den vergangenen sechs Jahren wurde wenig weitergebracht in der Analyse dieses anderen, neuen Rahmens von Macht, wie wir ihn in „Empire“ begonnen haben und wie er im Kontext der Bewegung zuvor diskutiert und erforscht worden war. Anstelle dessen hat man bestimmte Auswüchse übertrieben. Paradoxerweise gingen diese Übertreibungen Hand in Hand mit den Träumen von Cheney, Wolfowitz & Co. Cheney träumte von der neoimperialistischen Herrschaft der USA. Und manche Linke nahmen seine Träume für bare Münze. Für Cheneys Halluzinationen bin ich nicht zuständig. Der soll glauben, was er will. Was mich stört, ist, wenn Linke diesen Glauben teilen. Allerdings bin ich sehr zuversichtlich: Ich denke wirklich, dass das jetzt vorbei ist und dass die Hoch-Zeiten dieser altmodischen Linken jetzt wieder vorbei sind.