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Archiv-Artikel

Protestler mit Durchhaltevermögen

Er schläft seit sechs Jahren unter einer Plane auf einer Verkehrsinsel am Fuße des Big Ben. Sie haben extra ein Gesetz erlassen, um ihn loszuwerden. Zweimal wurde ihm die Nase blutig geschlagen. Doch Brian Haw protestiert noch immer vor dem britischen Westminster-Parlament in London gegen den Irakkrieg. Der 57-Jährige ist von seiner Ein-Mann-Demonstration gezeichnet. Er hat fast alle Zähne verloren, sein Gesicht ist vom Wetter gegerbt.

Angefangen hatte Haw am 2. Juni 2001. Damals protestierte er gegen die UN-Sanktionen gegen den Irak, ab 2003 gegen den Krieg. Seitdem versuchen die Behörden, ihn aus der Gegend zu verbannen. Sein Megafon störe die Abgeordneten, die Plakate verstümmelter irakischer Kinder seien „unerlaubte Werbung“, er stelle ein Verkehrshindernis dar. Vor Gericht bekam Haw jedes Mal Recht.

Lediglich seine 60 Meter breite Plakatwand musste Haw auf knapp drei Meter stutzen, weil sich „Terroristen dahinter verstecken“ könnten. Der Künstler Mark Wallinger hat die Originalplakate zu einem Kunstwerk verarbeitet, das in der Tate Britain ausgestellt ist.

Die Galerie liegt innerhalb der Bannmeile, die das Unterhaus 2005 verhängt hat. Da das Gesetz schlampig formuliert war, konnte es auf Haw nicht rückwirkend angewendet werden. Darüber hinaus ersann der Komiker Mark Thomas einen Weg, um das Gesetz zu umschiffen. Weil Einzelproteste zwar schriftlich beantragt werden müssen, aber nicht verboten werden können, versammelt Thomas regelmäßig hunderte von Menschen vor dem Parlament, die für unterschiedliche Sachen kämpfen.

Haw wurde 1949 in Woodford in der Grafschaft Essex geboren und wuchs in Barking auf. Sein Vater war einer der ersten britischen Soldaten, die 1945 das Konzentrationslager Bergen-Belsen gestürmt hatten. 20 Jahre später brachte er sich um, Brian war knapp 16 Jahre alt. Um seine Mutter und seine jüngeren Geschwister finanziell zu unterstützen, machte er eine Ausbildung als Zimmermann bei einem Schiffsbauer und ging zur Handelsmarine. 1970 ließ er sich in Redditch in Essex nieder und gründete ein Umzugsunternehmen. Mitte der Siebzigerjahre heiratete er Kay. Die beiden haben sieben Kinder. Manchmal kommen sie bei Brian Haw vorbei, auf dem Weg zur Oma in Ilford.

Als der Fernsehsender Channel 4 die Zuschauer im Februar abstimmen ließ, welche politische Person sie 2006 am meisten inspiriert habe, stimmten 54 Prozent für Haw – der Zweitplatzierte, Armeechef Richard Dannatt, kam auf 18, Tony Blair auf 8 Prozent. Auf die Frage, wie lange er unter seiner Plastikplane noch aushalten wolle, antwortet Haw: „So lange, wie nötig.“ RALF SOTSCHECK