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Archiv-Artikel

Dada Tribalismus

KONZERT Super in Sachen Style und Stimmführung – Dakha Brakha aus Kiew im proppevollen Badehaus

Man sieht es auf den ersten Blick, die Band Dakha Brakha hat was Spektakuläres. Man kann diesen Schauwert sogar messen. Schätzungsweise sechzig Zentimeter hoch sind die riesenhaften Fellmützen, die sich die drei Frauen bei den Auftritten des Ensembles auf den Kopf stülpen. Ein echtes Ausrufezeichen. Ein ins Extrem gesteigerter Fingerzeig auf einen folkloristischen Fundus genauso wie schieres Dada.

In Sachen Stylefragen ist das vor zehn Jahren gegründete und auch mit einem Avantgardetheater verbandelte Ensemble also schon mal weit vorn. Nur der Mann des Quartetts verzichtet auf dieses traditionell mal wohl eher den Männern zugeordnete Mützenaccessoire. Mit einem trockenen „We are Dakha Brakha from free Ukraine“ begrüßte er am Mittwochabend das Publikum im dicht gedrängten Badehaus auf dem RAW-Gelände.

Und das war so proppevoll, weil es sich doch herumgesprochen hat, dass man es bei den Vieren nicht einfach nur mit einem netten neuen Musikantenstadl aus dem Weltmusikregal zu tun hat. Allein im vergangenen Jahr wurde Dakha Brakha (oder auch – in anderer Transkription aus dem Kyrillischen – Dracha Bracha) bei so Bescheidwisser- oder einfach großen Popfestivals wie Sziget, Transmusicales Rennes, Roskilde oder dem Fusion-Fest herumgereicht.

Wilde Schönheit

Diese Bandbreite an Auftrittsorten zeigt aber schon an, dass man es bei Dakha Brakha mit einer Band zu tun hat, die alle, die sich vielleicht mit Le Mystère des Voix Bulgares als Einstiegsdroge am liebsten mit den wilden Schönheiten der Balkanmusiken beschäftigen, interessieren muss – und eben auch die, die sich eigentlich mehr mit experimentellem HipHop beschäftigen.

„Minimal Ethno“ oder „Psycho-Folk“ und „Acoustic TripHop“ sind so Stichworte, mit denen man versucht hat, die Musik des Ensembles einzufangen. Eine Stilvielfalt, die erst mal die traditionellen ukrainischen Lieder und Melodien zum Ausgangspunkt nimmt, und auch ernst genug, als Material, um nicht nur beim Ausgangspunkt stehen zu bleiben und in einer irgendwie getreuen Wiedergabe dieser Lieder und Melodien zu verharren.

Dakha Brakha wollen sich keineswegs ins Folkloremuseum singen – obwohl sie auch da, wie im Badehaus zu hören war, allemal einen höchst respektablen Platz einnehmen könnten. Hier geht es um Anverwandlungen und Einverleibungen, um Allianzen und Ausblicke. Mit einem in der Tradition rückversicherten Instrumentarium – Akkordeon, traditionelle Tröten, ein Cello. Im Schlagen der Trommel hörte man im Badehaus tribale Musiken genauso wie Four-to-the-floor-Markierungen. Archaik und moderner Tanzboden, vor allem im Gesang.

Da war dieser kehlige Gesang, die strahlenden und sehnsüchtigen Melodien der slawischen Folklore, man hörte wilde Jauchzer, ein Glucksen und Schnattern. Das konnte mal nach dem eigenartigen Gesang der Pygmäen klingen, nach einem ausgelassenen Kindergeburtstag oder eben nach einer überdrehten HipHop-Session. Ein singendes Schwatzen. Rede. Widerrede. Anrufungen. Bestätigende oder auch bestreitende Erwiderungen, die sich um die stimmführende Melodie rankten, wie man das auch vom Barbershop-Gesang oder Gospel kennt, diese kommunikative Struktur des Singens.

Mit dem Auskosten dieses Prinzips kommt man eben wie bei Dakha Brakha auch ohne fades Crossover von Folklore zum HipHop. Und wieder zurück zu einer soghaften Musik, in der man sich im Badehaus ganz gegenwärtig verlieren konnte. Vergangenheitsgesättigt, der Zukunft nicht bang. THOMAS MAUCH