: Innovativ, jung, cool
KUNST Die Relevanz des Sammlermuseums Weserburg in Bremen belegen die Ausstellungen, die dort seit einiger Zeit zu sehen sind – trotz bescheidenen Budgets
VON RADEK KROLCZYK
Wozu Bremen ein Sammlermuseum braucht, zeigt überaus eindrücklich die aktuelle Ausstellung „Komm und sieh“. Brandaktuelle Kunst aus der Sammlung des jungen Frankfurter Sammlers Mario von Kelterborn ist nun in der Weserburg zu sehen.
Seit einigen Monaten tobt ein Konflikt um die Zukunft des Museums Weserburg. Sieben Jahre lang hat Carsten Ahrens als Museumsdirektor das Haus zugrunde direktoriert. Letztes Jahr verließ er schließlich das Museum. Der aktuelle Direktor Peter Friese zeigt seitdem allerlei innovative junge Arbeiten aus ebenso jungen Sammlungen. Das ist neu in dem Museum auf der Teerhofinsel. Und ungeheuer cool.
Mit den Ausstellungen der jungen Sammler Rik Reinking und Cordula und Dominik Sohst-Brennenstuhl nahm es seinen Anfang. Und nun: die Sammlung Kelterborn!
Wie konnte es Direktor Friese in so kurzer Zeit gelingen, das Museum inhaltlich wieder aufzubauen? Man weiß es nicht. Zumal die finanziellen Zuwendungen der Stadt beschämend marginal sind. Noch dazu torpediert der von der Stadt eingesetzte Stiftungsratsvorsitzende Klaus Sondergeld das Gelingen durch die Forcierung einer Zusammenlegung des Museums mit der Kunsthalle. Wogegen sich Peter Friese und seine Mitarbeiter wehren.
Mit der Ausstellung der Sammlung Kelterborn bietet nun jedenfalls die Weserburg die Gelegenheit, brandaktuelle, eigenartige und stark politisch aufgeladene künstlerische Positionen kennen zu lernen, die dazu noch nicht museal durchgesetzt sind. Spannende junge Kunst also.
Zum Beispiel Tobias Zielony. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Werke des Berliner Fotografen von dem Essener Kurator Florian Ebner für den deutschen Pavillon in Venedig bei der nächstjährigen Biennale ausgewählt wurden. Zielony wurde 1973 in Wuppertal geboren und studierte in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Er beschäftigt sich mit globalen Außenseiterkulturen. So hat er sich mit dem Straßenstrich der Berliner Potsdamer Straße ebenso auseinandergesetzt wie mit der amerikanischen White-Trash-Kultur. In der Video-Arbeit „Vele“ ist die neapolitanische Mafiajugend sein Thema.
„Vele“ ist Teil der Sammlung Kelterborn und derzeit in der Weserburg zu sehen. Der Film basiert auf Standaufnahmen, die Zielony 2009 in einem futuristischen Viertel Neapels aufgenommen hatte. Der Fotograf hatte sich dabei, wie schon oft bei seiner Arbeit, in Gefahr begeben. Er hatte um Erlaubnis gebeten, im Inneren der Häuser zu fotografieren. Die Jugendlichen hatten barsch abgelehnt. Ob er denn aber sie fotografieren dürfe? Eitel gestatteten sie ihm die Aufnahmen und posierten vor seiner Kamera. Auf diese Weise entstand ein intimer wie auch bedrückender neunminütiger Streifen aus dem Inneren der Camorra.
Oder der in Südafrika aufgewachsene Teboho Edkins: 1980 wurde er in Tennessee, USA geboren. Edkins gehört zur jüngeren Generation der zurzeit viel beachteten Videokünstler. Er studierte zunächst in Kapstadt an der Kunsthochschule, später in Berlin an der Filmakademie. Ähnlich wie Zielony beschäftigt er sich in seinen Filmen mit Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben, häufig ist es die arme Bevölkerung Südafrikas. In der Weserburg läuft nun sein Kurzfilm „Backstage Gangster“ von 2013. Darin lässt er neun Personen zu Wort kommen, die von ihren Karrieren als Kriminelle erzählen. Der Filmkünstler hatte vorgegeben, für einen Kriminalfilm Darsteller zu suchen. Insgesamt 80 Bewerber meldeten sich für das Casting an. Ihre Erfahrungen als Straffällige waren in dem Kontext kein Manko, im Gegenteil: Hier wurden sie ihnen zum Vorteil.
Besonders bemerkenswert innerhalb der Ausstellung ist neben den vielen Video- und Fotoarbeiten eine lebensgroße Figur der 1964 in Bulgarien geborenen Künstlerin Mariana Vassileva. Die Figur trägt den Titel „Treasure is everywhere“ und ist von 2009. Eine dunkel gekleidete Gestalt, die eine Kapuze tief über ihr Gesicht gezogen trägt, besteigt auf dem Weg zu einer von der Decke herabhängenden Glühbirne einen Stuhl. Stuhl und Figur sind dabei von einer unglaublichen Dynamik ergriffen – der Stuhl kippelt und die Figur scheint dem Sturz nahe. Es wirkt wie ein Standbild aus einem Film, aber doch handelt es sich um eine Skulptur. Und an Stelle der Glühbirne leuchtet, als hätte sie sich einen Stromschlag geholt, ihr Kopf. Man kann auch Geistesblitz dazu sagen. Und gedankenanregende junge Kunst findet man so einige, in der Ausstellung aus der Sammlung von Kelterborn.
■ bis 1. 3. 15, Weserburg.
Über den Teerhof als öffentlichen Kunstort wird am 10. 11. ab 19 Uhr in der GAK – Gesellschaft für Aktuelle Kunst diskutiert
■ Der Autor ist Betreiber der Galerie K’ in Bremen