: Anwalts Lieblinge
Wegen der Verletzung von Urheber- oder Persönlichkeitsrechten werden Blogger zurzeit von einer Abmahnungswelle überrollt – für die Blogger verzichtbarer Ärger, für die Anwälte ein einträgliches Geschäft
VON CLAUDIA WENTE
Der Blogger Horst Schulte von Finger.Zeig.net erhielt im Januar unerwartet eine Abmahnung – wegen eines achtlos verwendeten Brötchenfotos. Die Betreiber von „Marions Kochbuch“, einem Internetkochbuch, wollten ihre Brötchen nicht ungefragt mit anderen teilen. Streitwert: 6.000 Euro. Anwaltskosten: etwa 700 Euro. „Ich war relativ aufgelöst“, sagt Schulte. „Die Folgen? Katastrophal.“ Sein Blog stellte er erst mal ein und löschte alle fragwürdigen Fotos. „Bei etwa 3.000 Artikeln seit 2004 war mir das zu heikel. Aber was ist ein Blog ohne Fotos? Langweilig!“
So viel Aufregung, obwohl Schulte das Brötchenfoto auch locker selbst am Frühstückstisch hätte knipsen können. Das denken sich auch viele andere, die derzeit ärgerliche Post bekommen. „Wir erleben im Moment eine Abmahnungswelle“, berichtet Udo Vetter, Anwalt für Strafrecht in Düsseldorf. Der Verteidiger vieler Blogger schreibt in seinem law blog, einem der meistgelesenen Weblogs in Deutschland, über Rechtsfragen des Internets.
Abmahnungen hagelt es vor allem wegen Urheberrechtsverletzungen, weil Menschen sich in ihren Persönlichkeitsrechten angegriffen fühlen oder Unternehmen um ihren Ruf bangen. Unabhängig davon, ob ein Blogger intensiv recherchierte, nachrichtliche Texte schreibt oder über seine Katze – eines haben alle Internettagebücher gemeinsam: Sie sind öffentlich und unterliegen damit bestimmten Rechtsvorschriften. „Ein Blog ist keine Collage für mein Kinderzimmer, jede Urheberrechtsverletzung wird irgendwann zutage kommen“, warnt Vetter.
Kein Foto, kein Video, keine MP3-Datei darf ohne Einwilligung des Rechteinhabers einfach verwendet werden, solange sie nicht ausdrücklich unter sogenannte „Creative Commons“ gestellt sind, also eine nichtkommerzielle Nutzung erlaubt ist. Auch den Urheber oder Fotografen zu nennen, nützt dabei nichts – es mindert höchstens die Kosten im Falle eines Verfahrens. „Man darf nicht immer auf die Musikindustrie schimpfen und sich überhaupt nicht um die Rechte kümmern“, meint Vetter. Der Streitwert bei zum Download angebotenen MP3-Dateien liegt ihm zufolge üblicherweise bei 5.000 Euro, Liedtexte bei 1.000 Euro. Kommt es zum Gerichtsverfahren, kann das bis zu 20.000 Euro kosten.
Für die Gegenseite ist das ein einträgliches Geschäft, sodass längst nicht mehr nur die Musikindustrie Blogger verklagt. Viele Anwälte haben Rechtsverstöße im Internet als Einnahmequelle entdeckt und fahnden online gezielt danach. Marcel Bartels von Mein-Parteibuch hat schon 1.500 Papierseiten Abmahnungen im Regal stehen, hauptsächlich wegen Angriffen auf Persönlichkeitsrechte. Vierstellige Beträge hat ihn das schon gekostet. Ein satirisches Bild von Sigmar Gabriel mit der Unterzeile „Ich will auch zu den Nutten, Herr Hartz“, das ein anderer Nutzer in seine Seite eingebunden hatte, führte zur Abmahnung. Aber bisher bleibt er gelassen und bloggt bissige Briefe zurück, die noch weit mehr Grund zur Aufregung bieten. „Ich blogge aus idealistischen Gründen. Es kann nicht angehen, dass die Anwälte die freie Meinungsäußerung plattmachen. Ich will mit meinem Blog diese Art der Rechtsprechung überleben.“ Bartels denkt nun darüber nach, sein Weblog ins Ausland zu verkaufen: „Da herrscht mehr Freiheit.“ Von der „.de“-Domäne ist er schon auf „.com“ umgestiegen.
Abmahnungen wie die gegen Marcel Bartels gehen häufig von Privatpersonen, Politikern oder Unternehmern aus, die mal eben abends nach Dienstschluss ihren Namen in die Suchmaschine eingeben und plötzlich auf ihr „zweites Image“ im Internet stoßen. Da findet sich dann mitunter Haarsträubendes. Plötzlich sieht sich etwa der Betreiber einer Website gegen Kindermissbrauch als Pädophiler diffamiert. Doch auch eine online gepostete Beschwerde über den schlechten Service eines Unternehmens kann für den Blogger Post vom Anwalt zeitigen. Denn auch solche Einträge werden über Google hochgespült, selbst wenn sie unter Umständen schon Jahre alt sind.
Für die Anwälte macht sich so bezahlt, dass sich viele Blogger und Foren-Betreiber der Tatsache, dass sie über ihre Peergroup hinaus publizieren, kaum bewusst sind und sie Debatten im Internet noch immer wie eine private Unterhaltung führen. Versierte Juristen können aber in der beiläufigen Meinungsäußerung schnell die justiziable Tatsachenbehauptung finden. Wer aber Tatsachen behauptet, muss sie auch beweisen können, notfalls vor Gericht. Udo Vetter empfiehlt daher, häufiger „Ich finde“ oder „Ich meine“ zu sagen oder „Coca-Cola schmeckt mir nicht, mir persönlich“, statt etwa zu behaupten, dass sie suchterregende Zusatzstoffe enthalte.
Trotz der Mahnflut warnt der Blogger-Verteidiger vor zu viel Panik. Wer eine Abmahnung bekommt, sollte sie unbedingt ernst nehmen und den Sachverhalt intensiv prüfen. Oft gehe es den Verunglimpften gar nicht darum, große Prozesse zu führen, sondern den betreffenden Beitrag zu tilgen. Die Kosten für eine Abmahnung belaufen sich in der Regel auf 50 bis 150 Euro, und die meisten Blogger zahlten die Beträge einfach, um kein teures Verfahren zu riskieren.
Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat inzwischen die Abmahnungswelle als Problem erkannt. Sie hat eine Initiative im Bundestag gestartet, mit der bei Urheberrechtsverletzungen in nichtkommerziellen Blogs die Kosten begrenzt werden sollen: Die erste Abmahnung soll dann mit höchstens 50 Euro zu Buche schlagen. Allerdings genügt schon eine einzige Werbeanzeige, damit diese Begrenzung nicht mehr greift.