Fehlentwicklungen der Menschheit

STREITFRAGE Die Antworten von Michael Wolffsohn, Josef Joffe und Guido Steinberg am letzten Wochenende auf die Frage, ob man sich dem Vormarsch des Islamischen Staats in Syrien mit Waffengewalt entgegenstellen muss, ernten Widerspruch von taz-Lesern

■ betr.: „Pazifismus adieu?“, taz vom 25. 10. 14

Eine super Sammlung an Zitaten von Kriegstreibern und Nebelkerzenwerfern – typischerweise Männern! Dabei ist der Trick für ihre „Argumente“ immer der gleiche: Man nehme eine Situation und einen Zeitpunkt heraus, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, und blende vorangegangene Ursachen komplett aus. So lässt sich der Krieg als unausweichlich darstellen und wird auf Dauer etabliert, ebenso die eigene Position. Wir müssen nicht Flüchtlingsströme zu uns verhindern, sondern die Ursachen dafür in Form unserer Waffenlieferungen und der Destabilisierung ihrer Länder.

Nationen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern Fehlentwicklungen der Menschheit. Daher sind sie auch kein Wert, sondern neben anderen Spaltungen der Menschheit die Ursache von Kriegen. Wir müssen andere Länder nicht abschrecken und weder Waffen an sie noch an ihre Nachbarn liefern, sondern mit ihnen zusammenarbeiten.

REINHARD RENGEL, Karwitz

■ betr.: „Pazifismus adieu?“, taz vom 25. 10. 14

Mit Erschütterung habe ich die verschiedenen Ansichten über Pazifismus zur Kenntnis genommen. Ich möchte bemerken: Bravo, Herr Joffe: Freundschaft, Familie und Nation. Haben Sie sich schon einmal angeschaut, mit was für Werten eigentlich die „Gegner‘‘ werben? In jedem mir bekannten Krieg der Weltgeschichte sind beide Seiten mit dem Glauben an ehrbare Ziele losgezogen (ob Nation dazu zählt, sei mal dahingestellt). Am Ende setzt sich halt die Gerechtigkeit und Freiheit des Stärkeren durch, und der Preis sind Verletzungen auf beiden Seiten und mindestens der Grund für den nächsten Krieg auf der Verliererseite, denn, wie gesagt, Gerechtigkeit und Freiheit sind immer die des Gewinners.

Zu Guido Steinberg möchte ich nur sagen: Jaja, das waren doch goldene Zeiten, damals im Kalten Krieg, als wir alles durch Abschreckung lösen konnten.

JENS ALBRECHT, Concepción, Chile

■ betr.: „Pazifismus adieu?“, taz vom 25. 10. 14

Michael Wolffsohn verlangt die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Der Bausoldatenkongress in Wittenberg hat im September angesichts der Kriege in der Welt etwas anderes gefordert: Bundestag und Bundesregierung sollen sich international stärker für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung engagieren. Wegen Kriegsdienstverweigerung verfolgte Flüchtlinge müssen generell Asyl in Deutschland erhalten können. Zudem: Trotz Aussetzung der Wehrpflicht müssen dienende Zeit- und Berufssoldat_innen sich bei einer Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung einer Gewissensprüfung unterziehen. Ein Prüfverfahren, um das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung in Anspruch nehmen zu können, ist weder zeitgerecht noch legitim. Denn ein Gewissen ist nicht prüfbar! Im Zweifel führt die Prüfung zur Vorenthaltung dieses Grundrechts. Deshalb ist die deutsche Gesetzgebung zum Kriegsdienstverweigerungsrecht dahingehend zu reformieren. SEBASTIAN KRANICH, Halle

■ betr.: „Pazifismus adieu?“, taz vom 25. 10. 14

Zur Antwort von Joseph Joffe: Wer Kasinokapitalismus zum alternativlosen und höchsten aller Werte erklärt – denn der ist kriegstreibend –, sagt im Grunde, dass er bereit ist, alle anderen Werte zu verraten: Freundschaft, Familie und Solidarität, dazu Gerechtigkeit, Freiheit und den Schutz der Schwächeren. Diese Position ist absurd. Sie lässt sich genauso lange durchhalten … nein, das Bild ist jetzt wirklich absurd.

KAI HANSEN, Nürtingen

■ betr.: „Wie ein Ritt auf der Kreissäge“, taz.de vom 25. 10. 14

Die USA haben die militanten Islamisten (Mudschaheddin samt CIA-Mitarbeiter bin Laden) aufgerüstet, als es gegen die Russen ging, sie haben Saddam Hussein aufgerüstet, als es gegen den Iran ging, und sie haben Isis beziehungsweise Vorläuferorganisationen aufgerüstet, als es gegen Assad ging. Jedes Mal wird uns das Stöckchen hingehalten, über das wir springen sollen: Pazifismus sei ja ganz schön, gewissermaßen als Schönwetterideologie, aber leider, leider seien da ein paar Bad Guys (ursprünglich jedes Mal Good Guys) aus dem Ruder gelaufen, und jetzt hilft eben nur noch Gegengewalt, und die friedensbewegten Weicheier sollen sich mal bitte nicht so anstellen … Merkt ihr nicht alle miteinander, wie bescheuert das ist? Wie man euch – und uns, die Leser! – für dumm verkauft? Wie man euch und uns damit vorführt?

Offenbar sind Krisen und Kriege gewollt oder werden, wenn sie ungewollt auftreten, dennoch für ökonomisch-geopolitische Zwecke ausgenutzt. Kann die taz nicht bitte in all diesen Fällen – Ukraine, Nahost, wo auch immer – kritisch bleiben so wie früher? Gegenöffentlichkeit herzustellen war der Zweck eurer Gründung. Wie weit habt ihr euch davon entfernt!

ALBRECHT POHLMANN, taz.de

■ betr.: „Wie ein Ritt auf der Kreissäge“, taz.de vom 25. 10. 14

Es mag ein Totschlagargument sein, aber Pazifismus hat noch nie einen Krieg oder Völkermord verhindern können. Oder kann mir jemand das Gegenteil beweisen? Die monströsen Verbrechen in Auschwitz, Srebrenica, Ruanda und so weiter wurden nicht von Pazifisten gestoppt, sondern von bewaffneten Soldaten.

HEINZ GÜNTER GRUSE, taz.de

■ betr.: „Wie ein Ritt auf der Kreissäge“, taz.de vom 25. 10. 14

Es ist ein dummes „Argument“, Pazifismus eine Mitverantwortung an Gräueln zu unterstellen, die samt und sonders von Menschen verübt werden, die alles andere als Pazifisten sind. Aber offensichtlich schaffen Rabulisten wie Joffe oder Steinberg damit eine Stimmung gegen all die, die in einer weiteren Eskalation der Gewalt keine Lösung sehen. Und sie spekulieren auf die Vergesslichkeit der Menschen. Denn Auslöser des IS-Terrors war eben auch das militärische Engagement des Westens im Irak. Vergessen sind die Mahner – insbesondere in grünen Reihen –, die damals vor einer langfristigen Destabilisierung und einem Erstarken extremistischer Strömungen in der islamischen Welt gewarnt hatten. In der gleichen verantwortungslosen und menschenverachtenden Weise machen heute diejenigen Propaganda, die in der militärischen Vernichtung des IS das einzige Heil sehen – am Ende aber eine Antwort schuldig bleiben, was danach kommen soll und wem dieser Einsatz eigentlich nutzt. Solange diese Personen – auch in der grünen Fraktion – eher bereit sind, Milliarden für Militäreinsätze bereitzustellen als Millionen für Aufbau- und Bildungsprojekte in der islamischen Welt, tragen ausschließlich diese Personen Mitverantwortung am Elend der Zivilbevölkerung im Irak und Syrien! Aber das dürfte eine zu komplexe Einsicht sein, die nicht in das einfache Weltbild eines Joffe, Steinberg oder einer Göring-Eckardt passt.

REINHARD WARTENHORST, taz.de