: Der mit der Welt schimpft
In „Brinkmanns Zorn“ verfilmte Harald Bergmann die Tonbänder des Underground-Lyrikers
Er hat den Himmel beschimpft: die faulig gelben Wolken, das kackfarbene Firmament, das breiige Licht und die öde herumfliegenden Vögel. Rolf Dieter Brinkmann war permanent unzufrieden – mit der „miesen Realität“, den „Muffwörtern“, seinen Mitmenschen, die alle nur Kopien waren, denn „die Medien legen ihren Larven in den Körpern ab“. Und als Dichter war er unzufrieden mit der Sprache, die für ihn als Mittel der Welterkenntnis untauglich war. Als ein deutscher Ableger der Beat-Literatur hatte er reüssiert und war in den späten 60er Jahren der führende Underground-Lyriker des Landes. Die Cut-Up-Techniken seiner amerikanischen Kollegen sah er als einen Weg aus der für ihn obsolet gewordenen Wort- Drechselei, und so veröffentlichte er komplexe Wort-Bild-Collagen und experimentierte mit Super-8-Filmen, Instamatic-Fotos und Tonbandaufnahmen. 1973 nahm er mit einem vom WDR geliehenen Gerät insgesamt 12 Stunden Tonmaterial auf, das 2005 unter dem Titel „Wörter Sex Schnitt!“ als Box mit 5 CDs veröffentlicht und als Hörbuch des Jahres prämiert wurde.
Da der Film in erster Line ein visuelles Medium ist, spielt die Tonspur meist nur die zweite Geige. Erst kommt das Bild und dann der Klang: In der Postproduktion wird der Ton abgemischt, Dialog nachsynchronisiert und Musik kommt dazu. In Harald Bergmanns Film kann man einmal beobachten, was passiert, wenn dieser Prozess umgekehrt wird. Hier waren Brinkmanns Tonbänder das Ausgangsmaterial, und das Filmteam hat mit zum Teil äußerster Raffinesse versucht, die Bilder zu synchronisieren. Eckhard Rhode, selber Schriftsteller und Schauspieler, verkörpert Brinkmann so glaubwürdig, dass man schon sehr bald aufhört darauf zu achten, ob seine Lippen tatsächlich genau das zu sagen scheinen, was man hört. Der Witz bei dieser Methode besteht ja darin, dass Brinkmann versuchte, den lebendigen Moment auf dem Band einzufangen: Er redet, was ihm gerade in den Sinn kommt, drängt seine Ehefrau und seinen sprachbehinderten Sohn dazu, irgendetwas ins Mikrophon zu sagen, nimmt das Geplapper seiner Freunde auf Partys auf und lässt das Gerät auch mal mitlaufen, um einen Song von den „Stones“ aufzunehmen. Diese spontanen Momente mussten nun vom Filmteam präzise nachkonstruiert werden. Jedes Kratzen mit dem Fingernagel auf dem Mikro (Brinkmann probierte oft einfach nur mit seinem neuen technischen Spielzeug herum) wurde da genau nachgespielt. Im Grunde eine absurde Methode, aber das Ergebnis ist faszinierend. Man hört und sieht nun Brinkmann bei dem, was er selber (hier plötzlich überraschend konventionell) sein „Dichterleben“ nannte. Wenn er durch eine Kölner Straße geht und dabei alles was er sieht beschimpft, dann bemerkt man in seiner Stimme auch den triumphierenden Unterton, und Eckhard Rhode gelingt es, diese Ambivalenz subtil auszudrücken. Brinkmanns Tonbandaufnahmen sind als Klanggedichte ohne jede erzählerische Richtung gedacht, doch der Film hat eine heimliche Dramaturgie. Im letzten Teil wird aus den Postkarten vorgelesen, die Brinkmann von seinen Reisen in die USA und England an Freunde schickte, und so kann in dem Film auch erzählt werden, wie die Ehe Brinkmanns scheiterte, wie er in England kleine Erfolge feierte, wo er dann 1975 vor einem Pub mit dem Namen „Shakespeare“ bei einem Autounfall starb. Die Motive des Autoverkehrs und des Sterbens hatte Bergmann schon lange vorher visuell keimen lassen, und so letztlich doch zum guten alten Erzählkino zurückgefunden. Wilfried Hippen