herr tietz macht einen weiten einwurf : Unter Wasser zum Gipfel
Wer stundenlang in sechs, sieben Meter Wassertiefe den Ostseegrund beradelt, muss an die Atemluft denken
Vollständig umzäunt und hermetisch abgeriegelt: Das Seebad Heiligendamm ist für Unbefugte momentan nicht zu erreichen. Wer noch rein darf in die Gipfelzone, schafft das nicht unkontrolliert. Zu Lande nicht und durch die Luft schon mal gar nicht. Auch von der Seeseite her gelangt kein Mensch unbemerkt an den Strand. Die vor Heiligendamm Gipfelwache schiebende Marine hat hier alles im Griff. Glaubt sie jedenfalls.
Rückblende. Der 7. September 2002. Auf seiner Homepage jubelt Wolfgang Kulow: „Am 07. 09. 2002 schaffte ich eine Strecke von 4,2 Kilometern in 4:15 Std. mit dem Fahrrad auf dem Meeresboden der Ostsee zurückzulegen. Weltrekord!“ Ein Foto zeigt den damals 53-jährigen Extremsportler am Ostseestrand im Taucheranzug vor seinem Sportgerät posierend: einem leuchtend gelben Dreirad mit zwei fetten Pressluftflaschen hinten drauf. Klar, wer über vier Stunden lang nonstop in sechs, sieben Meter Wassertiefe den Ostseegrund beradelt, muss genügend Atemluft mit sich führen. Von Scharbeutz durch die Lübecker Bucht rüber zum Timmendorfer Strand führte damals die Rekordstrecke. Wolfgang Kulow schilderte seine Eindrücke hinterher so: „Ich fahre vom Strand direkt in die Ostsee (…) ein komisches Gefühl. Sobald das Rad ganz unter Wasser ist, fährt es sich leichter und schneller. Es ist unwirklich in dieser stillen, unberührten Welt mit dem Rad zu fahren (…) Das Wasser ist für Ostseeverhältnisse recht klar. Ich schaue über sich sanft wiegende Seegraswiesen in das satte Grün der Tiefe. Quallen ziehen majestätisch an mir vorbei (…) Die Dunkelheit der Tiefe nimmt zu, ich muss meinen Kurs ändern, sonst erreiche ich das Ziel am Timmendorfer Strand nicht (…) Ich fahre zügig mit dem etwa 50 Kilo schweren Rad auf dem festen Sandboden der Ostsee. Die Taucher können mir nicht mehr folgen. Meine neuen Begleiter sind kleine Lippfische, die neugierig mein Rad und meine aufsteigenden Luftblasen umschwimmen. Schollen liegen getarnt auf dem sandigen Meeresboden. Nur im letztem Moment entdecke ich sie und versuche sie zu umfahren …“
Ich rief Wolfgang Kulow gestern an: „Also, ich muss schon sagen. Vier Komma Zwo Kilometer in vierfünfzehn, und dabei auch noch stets bemüht, keine Schollen zu überfahren. Chapeau!“ Er unterbrach mich sofort: „Ich bin sogar nachher noch mal zehn Kilometer durch die Ostsee gefahren. In etwas mehr als sechs Stunden.“ Und das, obwohl er dabei wiederholt in diese tückischen Seegraswiesen geriet. Dauernd kam Seegras in die Kette, in die Räder, in die Speichen. „Das törnt sich dann so um die Naben“, erklärte er. Auch wenn ich mein Lebtag nicht durch ein Seegrasfeld geradelt bin, kann ich mir das lebhaft vorstellen. Wie sich Seegras um die Naben törnt.
Aber was ich eigentlich fragen wollte, aus aktuellem Anlass: Ob man derzeit Heiligendamm mit dem Unterwasserrad erreichen könnte. Nun, so Weltmeister Kulow, ein Unterwasserfahrrad hätten die Sicherheitsbehörden bestimmt nicht auf der Rechnung. Allerdings – er zauderte kurz – seines Wissens sei da vor Heiligendamm ein Netz unter Wasser gespannt. Aber gut, man könne ein Netz hoch heben und drunter herfahren. Auch von der Beschaffenheit des Meeresgrundes her müsste es wohl gehen, denn die ist Kulows Taucherfahrung nach in der Ostsee überall gleich radeltauglich, so überlegte er kurz in den Telefonhörer, um sich dann endlich so festzulegen: „Also, nur mal so gesprochen, aber in einer Anmarschzeit von drei Stunden könnte ich das bewältigen.“
Auf www.wolfgang-kulow.de ist zu lesen: „Plötzlich tauchen die mächtigen, mit Miesmuscheln bewachsenen Pfeiler der Seebrücke vor mir auf. Die Wassertiefe nimmt ab, es sind nur noch ein paar Meter bis zum Ziel (…) Langsam hebt sich mein Körper aus dem Wasser. Das Fahrrad wird sichtbar. Viele Menschen stehen auf der Seebrücke und sind erstaunt. Die Fotografen und Kameraleute umringen mich. Ich habe es geschafft.“ Es ist nur die Timmendorfer Seebrücke, von der hier die Rede ist. Es könnte aber auch die Heiligendammer sein. „Das würde natürlich einen Riesenstress geben,“ sagte Wolfgang Kulow.
Fritz Tietz ist 48 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport