Kirche auf dem Rückzug

Der Kirchenkreis Göttingen streicht das Ausländerpfarramt und überträgt dem bisherigen Ausländerpfarrer andere Aufgaben. Die Entscheidung stößt bei Initiativen inner- und außerhalb der Kirche auf Unverständnis

Der evangelische Kirchenkreis Göttingen hat nach 26 Jahren die Stelle eines Ausländerpfarrers abgeschafft. Superintendent Wolf-Dietrich Köhler begründete den Beschluss des Kirchenkreisvorstandes damit, dass sich die Kirche wegen zurückgehender Finanzmittel künftig auf ihre „Kernaufgaben konzentrieren“ müsse. Die Versorgung der Gemeinden mit Seelsorgern gehe vor. Der bisherige Ausländerpfarrer Peter Lahmann, der das Amt mit einer halben Stelle ausübte, soll zunächst als Schwangerschaftsvertreter einspringen und Gemeinden im Norden des Kirchenkreises betreuen.

Die Entscheidung stößt bei Flüchtlingen und ihren Unterstützern in- und außerhalb der Kirche auf Unverständnis und heftige Kritik. Die Äußerungen Köhlers hätten ihn „erschreckt und bestürzt“, schreibt der Ruhestandspastor und Sprecher der Göttinger Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Karl-Helmut Barharn. Lahmann habe verängstigte Flüchtlinge oft bei Behördengängen begleitet, ihnen medizinische Hilfe vermittelt und Geld für Anwaltskosten oder Gutachten aufgetrieben.

„Im Extremfall hat er den Kopf hingehalten und die Verantwortung für ein Kirchenasyl übernommen“, erklärte Barharn. Wenn dies nicht zu den Kernaufgaben von Kirche gehöre, frage er sich, „was für eine ausgedünnte Theologie steht hinter dieser Auffassung?“.

In Göttingen hatte Lahmann in den vergangenen Jahren mehrfach Kirchenasyle angebahnt. Die meisten verliefen erfolgreich. Asylverfahren wurden neu aufgerollt, die betroffenen Flüchtlinge durften in Deutschland bleiben. Lahmann meldete sich auch immer wieder mit Stellungnahmen gegen die niedersächsische Abschiebepolitik und unzureichende Regelungen beim Bleiberecht zu Wort.

Bahman Ayegh vom Göttinger Integrationsrat sagt, die Stelle eines Ausländerpfarrers habe gerade in der Universitätsstadt Göttingen mit vielen ausländischen Studierenden einen großen Stellenwert. Lahmann habe in den vergangenen Jahren „im Namen der christlichen Kirchen Brücken gebaut, um Menschen mit verschiedenen Kulturen einander näherzubringen“. Diese Arbeit werde durch die Stellenstreichung zunichte gemacht.

Für Hansjörg Gutberger vom Göttinger Verein „Internationale Gärten“ ist die Abschaffung des Ausländerpfarramtes ein „Eigentor“. Immer mehr Menschen werde bewusst, wie wichtig Themen wie Migration und Integration seien: „Deswegen hätte ich eigentlich erwartet, dass in nächster Zeit eine Ausweitung kirchlicher Aktivitäten in diesem Bereich einsetzen wird.“ In den Göttinger Internationalen Gärten beackern Flüchtlinge aus rund einem Dutzend Ländern gemeinsam Gemüsebeete.

Reimar Paul