: Es ist nicht deine Mutter
Wochenlang debattierte Großbritannien über die TV-Dokumentation „Diana: Die Zeugen im Tunnel“. Durfte man Bilder der sterbenden Prinzessin ausstrahlen? Am Mittwoch lief der Film auf Channel 4
Nach der Channel-4-Doku ist der nächste Diana-Medienskandal schon in Sicht: die britischstämmige Starjournalistin Tina Brown hat eine Biografie der Prinzessin von Wales geschrieben. „The Diana Chronicles“ erscheint am 12. Juni. Im Vorfeld hat Brown bereits angekündigt, Diana als die „hinterhältige, manipulative, medien-geile Neurotikerin“, die sie nun einmal gewesen sei, darzustellen. Die 53-Jährige dürfte wissen, wovon sie schreibt: Als Chefredakteurin der US-Magazine Vanity Fair und New Yorker hatte Brown Diana mehrfach getroffen – detaillierte Berichte aus dem royalen Liebesleben inklusive. Pünktlich zum 10. Todestag der gescheiterten Prinzessin dürfte das Buch so für das Comeback der gefallenen Starautorin sorgen. Nach der Pleite ihres Interview-Magazins Talk im Jahr 2002 war es ziemlich still geworden um Brown. HPI
VON RALF SOTSCHECK
Am Ende war man enttäuscht. Nach wochenlangen Debatten um eine Dokumentation des britischen Fernsehsenders Channel 4 über den Tod von Prinzessin Diana, in die sich auch ihre Söhne, die Prinzen William und Harry, eingeschaltet hatten, wurde der Film am Mittwochabend ausgestrahlt. Die umstrittenen Bilder der Paparazzi aus dem Pariser Tunnel, in dem Diana, ihr Freund Dodi Fayed und der betrunkene Fahrer Henri Paul im August 1997 bei einem Autounfall ums Leben kamen, waren grobkörnige, unscharfe Schwarzweißfotos, die lediglich mit Hilfe des erklärenden Kommentar zu deuten waren. Von den vier Insassen des Wagens, von denen nur Dodis Leibwächter Trevor Rees-Jones überlebte, war nichts zu sehen.
Die Dokumentation „Diana: The Witnesses In The Tunnel“ („Diana: Die Zeugen im Tunnel“) beschrieb die Geschehnisse jener Nacht aus der Sicht der Fotografen, die das Paar aus dem Pariser Ritz-Hotel verfolgt hatten und wenige Minuten nach dem Unfall im Tunnel eintrafen. Sieben Paparazzi wurden unter dem Verdacht des „versehentlichen Totschlags“ verhaftet, einer Leibesvisitation unterzogen und zwei Tage lang eingesperrt. Später wurden sie freigesprochen.
Ihre Unfallfotos hätten ihnen ein Vermögen eingebracht, wenn Diana überlebt hätte. Nach ihrem Tod wollte sie aber niemand veröffentlichen. Für einige Fotografen waren die Erlebnisse so traumatisch, dass sie ihren Beruf aufgaben. Viele Menschen beschuldigten sie, Diana in den Tod getrieben zu haben. Aber ebenso viele Menschen hatten die Auflagen der Zeitschriften mit heimlich geschossenen Diana-Fotos in die Höhe getrieben. Die Channel-4-Dokumentation, die neben den Fotos auch nachgestellte Szenen, Archivmaterial und Aussagen von Augenzeugen enthielt, sprach die Paparazzi von jeglicher Schuld frei. Sie haben zu keiner Zeit die Rettungsarbeiten behindert, einer von ihnen, der Franzose Romuald Rat, habe sogar erste Hilfe geleistet. Das war alles bereits bekannt.
Den Medienrummel um die Dokumentation hatte Channel 4 selbst angezettelt. Der einst ernst zu nehmende Sender ist längst zur Bild-Zeitung unter den britischen Fernsehanstalten verkommen. Er macht nicht mehr durch ein anspruchsvolles Programm auf sich aufmerksam, sondern durch künstliche Skandale.
Neulich musste man sich öffentlich entschuldigen, weil die indische Schauspielerin Shilpa Shetty bei der dümmlichen Big-Brother-Show von ihren Mitinsassinnen rassistisch beleidigt worden war. Erst gestern früh wurde bei der neuen Big-Brother-Staffel eine Teilnehmerin hinausgeworfen, weil sie eine andere als „Nigger“ bezeichnet hatte. Dennoch strahlte Channel 4 die Szene am Abend aus.
So steigert man die Zuschauerzahlen, und dasselbe Ziel steckte hinter der Debatte über die Diana-Dokumentation. Allerdings, so finden die meisten Medienkollegen, habe der Sender das Recht, einen solchen Film zu senden, auch wenn die Prinzen William und Harry den Film im Vorfeld als „grobe Respektlosigkeit gegenüber dem Andenken unserer Mutter“ bezeichnet hatten. „Wir würden unsere Pflicht verletzen, wenn wir nicht versuchten, unsere Mutter zu schützen, so wie sie uns einst beschützt hat“, sagten die Söhne. Channel 4 entgegnete, man habe die Bedenken der Prinzen gegen das öffentliche Interesse abgewogen und sich für die Ausstrahlung entschieden.
Williams und Harrys Privatsekretär Jamie Lowther-Pinkerton, dem die Dokumentation vorige Woche vorgeführt worden war, bat im Namen der Prinzen, wenigstens die Fotos des Unfallwagens und des Krankenwagens, auf dem ein Sanitäter der – nicht zu sehenden – Prinzessin erste Hilfe leistet, herauszuschneiden. Auch das lehnte Channel 4 ab. Die Fotos seien entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Films, hieß es. Sie herauszuschneiden, würde einen „gefährlichen Präzedenzfall“ schaffen. Lowther-Pinkerton fragte daraufhin: „Wenn deine oder meine Mutter dort in dem Tunnel gestorben wäre, wollten wir dann, dass diese Szenen der Nation vorgeführt werden? Würde die Nation das wollen?“
Es war aber eben nicht deine oder meine Mutter, sondern Diana, die die Medien spätestens seit ihrer Trennung vom britischen Thronfolger Prinz Charles geschickt benutzt hatte, bis man sie zur „Prinzessin der Herzen“ verklärte. Noch in den Tagen vor ihrem Tod hatte sie mit Dodi Bootsurlaub auf dem Mittelmeer gemacht und sich für die Teleobjektive der Fotografen auf dem Deck in der Sonne geräkelt. Nach dem Essen im Pariser Ritz-Hotel, das Dodis Vater, dem Milliardär Mohamed al-Fayed gehört, wollte sie plötzlich nicht mehr mitspielen und begab sich in die Obhut eines betrunkenen Chauffeurs.
Obwohl der Unfallhergang dank der französischen Untersuchung hinlänglich bekannt ist, haben die Verschwörungstheorien nach wie vor Hochkonjunktur. Die britische Untersuchung soll im Oktober beginnen. Sie musste immer wieder verschoben werden, weil Mohamed al-Fayed zahlreiche Prozesse angestrengt hat. Er hält Dianas Schwiegervater, den Queen-Gatten Prinz Philip, für den Auftraggeber eines Mordes an Diana und seinem Sohn.