: Die große Merkel-Show
Ein Gipfel entwickelt seine eigene Dynamik, auch für Beobachter. Angela Merkel hat ihre Erfolgsmeldungen mit gutem Timing platziert
AUS HEILIGENDAMM KATHARINA KOUFEN
Wer sehen will, wie Angela Merkel und ihre Kollegen einmal vor dem Kempinski-Hotel von rechts nach links gehen, muss früh aufstehen. Für Viertel vor neun ist der Tagesordnungspunkt „Gang der G 8 zum Outreach-Afrika-Treffen“ in Heiligendamm angesetzt. Genau drei Stunden früher, um Viertel vor sechs, sollen sich die Journalisten zum Sicherheitscheck in Kühlungsborn einfinden.
Was dann folgt, ist eine Leibeskontrolle, die an Flugreisen nach Israel erinnert. Zwei Sicherheitsschleusen, Armbanduhren und Gürtel müssen ausgezogen werden, der Laptop wird auf Sprengstoffspuren untersucht. Immerhin: Diesmal fährt wieder die Dampfeisenbahn in die Sperrzone. An den ersten beiden Gipfeltagen war das anders. Demonstranten hatten die Schienen der „Molli“ blockiert. Den Journalisten blieb nichts anderes übrig, als sich in einem Motorboot der Küstenpolizei auf die alles andere als ruhige Ostsee zu begeben.
Nun kann man sagen, solche Maßnahmen sind notwendig. Sie dienen dem Schutz der mächtigsten Politiker der Welt. Das stimmt. Aber sie sind nicht nur das, Schutz. Sie sind gleichzeitig auch Teil der Inszenierung von Angelas Merkels Auftritt auf der Weltbühne. Wie alles in diesen drei Tagen. Der gesamte Gipfel funktioniert nach einer sorgfältig im Kanzleramt durchdachten Dramaturgie: Spannungsaufbau und Spannungsabbau, tiefstapeln, sich kämpferisch zeigen, überraschen. Und dabei immer lächeln.
Mit dem Fortschreiten der Sicherheits-Prozedur und der ruppigen Bootsfahrt steigt die Erwartung der Journalisten. Für ein paar Floskeln aus dem Munde eines Regierungssprechers wird keiner seekrank. Doch wenn Angela Merkel ganz unverhofft persönlich vor die deutschen Journalisten tritt – im kleinen Kreis, wie das Bundespresseamt betont, denn das erhöht noch mal das Gefühl von Exklusivität –, dann geht ein Aufatmen durch die Reihen. Es hat sich gelohnt. Und natürlich lässt die Kanzlerin die Medienleute nicht stundenlang quälen, um anschließend Belanglosigkeiten zu verkünden. Also stürmt sie strahlend in den Pressesaal und verkündet „einen echten Erfolg“ beim Klimaschutz, „das bestmögliche Ergebnis, das denkbar war“ – die Journalisten sind erst einmal geneigt, ihr zu glauben.
Für Angela Merkel persönlich zählt ein anderes „bestmögliches Ergebnis“. Die Fernsehbilder zeigen eine ernsthafte Frau, stets freundlich, ein bisschen verkrampft manchmal, aber bestimmt. Gestern bei der abschließenden Pressekonferenz des Gipfels auch erschöpft. Bush, unter den G-8-Chefs zählt er mit Tony Blair schon zu den Gipfelveteranen, gibt sich dagegen lässig entspannt.
Merkel, zum zweiten Mal dabei, wirkt tough. „Seht her, ich beherrsche meinen Job“ – so lautet die Botschaft, die sie von Heiligendamm aus an die Welt gesandt hat. „Man muss sich große Ziele vornehmen, sonst erreicht man gar nichts“, erklärt sie. So, als hätte es die ganze Zeit über festgestanden, dass ihr Weg zum Erfolg führt. Dabei war das Gegenteil der Fall.
Merkels drei Ziele in Sachen Klimaschutz schienen vor Tagen noch ans Utopische zu grenzen. Die Klimaerwärmung auf 2 Grad festlegen, die Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2050 halbieren, der UNO die Federführung überlassen – nie und nimmer würden sich die Amerikaner darauf einlassen. Zwei Wochen vor Heiligendamm wies Merkel ihre Mitarbeiter an, sie sollten die Erwartungen in der Öffentlichkeit „herunterschrauben“. Das gelang: Einige Zeitungen titelten sogar schon, Merkel habe die Hoffnung auf eine Einigung aufgegeben.
Als wäre die Kanzlerin eine, die aufgibt. Merkel hat sich in den eineinhalb Jahren, die sie jetzt im Amt ist, einen Namen als zähe Verhandlerin gemacht. Anfang 2006 gelang ihr in Brüssel nach stundenlangen Nachtgesprächen ein Haushaltskompromiss. Damals galt die Situation schon als komplett verfahren. Keiner hatte mit Angela Merkel, der Neuen aus Deutschland, gerechnet. Die Devise der Kanzlerin: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Der Stein ist in diesem Falle George W. Bush. Wenn es um Klimaschutz ging, perlten alle Tropfen bisher wirkungslos an ihm ab. Doch Bush mag Angie „sehr“, wie seine Frau Laura in Heiligendamm verriet. Er schätzt ihr klares Bekenntnis zur Freiheit und zu Amerika. Putin, der Russe, und Merkel, die Ostdeutsche, mögen sich nicht. Noch vor zwei Jahren war es andersherum: Der deutsche Kanzler Schröder, als typisch westdeutscher Linker amerikakritisch, konnte Putin gut leiden, Bush dagegen überhaupt nicht. Diesmal heißt Bushs Problem Putin. Mit ihm liegt er wegen des geplanten Raketenabwehrschilds im Clinch und möchte nicht auch noch die deutsche Kanzlerin wegen des Klima-Themas gegen sich aufbringen.
Diese Chance nutzt „Angie“. Sie bringt den Präsidenten der USA immerhin so weit, dass er sich etwas bewegt. Zumindest verbal zeigt Bush in Heiligendamm endlich Einsicht. Denn all das Kleingedruckte zählt bei solchen Auftritten sowieso nicht.
Dass Bush seine kompromisslose Haltung aufgeben würde, war schon am Mittwochabend klar. Angeblich genügte ein gemeinsames Abendessen, es gab Beelitzer Spargel mit paniertem Kalbsschnitzel. Danach hatte Merkel seine Zusage für die Klima-Erklärung in der Tasche. Doch die Kanzlerin wollte, dass die Journalisten schreiben: Merkel hat hart gerungen, für ihren Erfolg gekämpft. Sie hielt die gute Nachricht zurück, bis ihr der Moment günstig schien: Am Donnerstagnachmittag, vor ebenjener Gruppe deutscher Journalisten, die gerade eine mühsame Anreise ins „Briefingcenter“ hinter sich hatte. Und eigentlich nur mit Merkels Sherpa Bernd Pfaffenbach und ein paar Zwischenstandsmeldungen gerechnet hatte – heruntergeschraubte Erwartungen also.
Unter Gipfelbedingungen allerdings schon weit mehr als üblich. Der Normalfall sieht so aus: Die Journalisten verfolgen Sarkozys Begrüßungsküsschen, Bushs Schulterklopfen oder Joachim Sauers – das ist der Kanzlerinnengatte – Partnerprogramm im Fernsehen. Im Pressezentrum in Kühlungsborn, zehn Kilometer vom echten Gipfel entfernt, hängen große Flachbildschirme. Die wenigen Fernsehteams, die – immer abwechselnd – live dabei sein dürfen, versorgen die übrigen 4.000 akkreditierten Medienvertreter mit Bildern. Die Information, die am nächsten Tag in den Zeitungen steht, ist also meistens aus zweiter Hand. Wenige Journalisten dürfen sich glücklich schätzen, einen G-8-Chef aus der Nähe gesehen zu haben. Geradezu privilegiert sind diejenigen, die es geschafft haben, in einem der wenigen „Briefings“ eine Frage zu stellen.
Kein Wunder also, dass die deutschen Journalisten von Merkels Spontanauftritt doppelt überrascht waren. Fast hätten sie spontan Beifall geklatscht. Wie nach gelungenen Szenen im Theater. Es hätte gepasst. Der Gipfel – ein Drama in drei Tagen. In der Hauptrolle: Angela Merkel.