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Archiv-Artikel

3.500 Hektar suchen ein Museum

GESCHICHTE In Kummersdorf Gut wurden Waffen für zwei Weltkriege erprobt. Wernher von Braun forschte hier an Raketen. Dann übte die Sowjetarmee auf dem Gelände, das nun museal genutzt werden soll. Doch noch bleiben viele Fragen – vor allem zur Finanzierung

„Es gibt kein anderes vergleichbares Gelände in Deutschland“

S. Köstering, Museumsverband

VON JAN STERNBERG

Der Motorradfahrer auf seinem historischen amerikanischen Militärkrad holpert über den Sandweg bis zum Tor, dann muss er wieder abdrehen. Der Zugang zur ehemaligen Heeresversuchsstelle Kummersdorf ist verschlossen. „Lebensgefahr! Betreten verboten! Bundesvermögensamt Potsdam“ steht auf einem Schild. Die riesigen ehemaligen Militärflächen südlich von Berlin ziehen, ebenso wie das benachbarte Wünsdorf, immer wieder Technik- und Uniformfreaks aller Art an. Auf dem 3.500 Hektar großen Gelände im märkischen Kiefernwald erprobte der deutsche militärisch-industrielle Komplex die Waffen für zwei Weltkriege.

1945 übernahmen die Sowjets das Gelände: Bis 1993 war hier eine Logistikeinheit stationiert. Nördlich von Kummersdorf Gut liegt im selben Sperrgebiet der Flughafen Sperenberg. Das Gelände war für den Großflughafen BER als Alternative zu Schönefeld im Gespräch, doch das ist auch schon wieder lange her. Und so schlummert die munitionsverseuchte Fläche im Bundesbesitz vor sich hin.

Ausstellung im Dorfkonsum

Martin Schnittler ist in Kummersdorf Gut aufgewachsen. In einem Ort im Wald, entstanden aus Siedlungshäusern der 1930er-Jahre für die Arbeiter und Beamten der Heeresversuchsstelle. Das riesige Gelände hinter dem Zaun und den weißen Mauern der sowjetischen Zeit hat den 43-Jährigen schon als Jugendlichen fasziniert. Er wusste wenig darüber, wenig Genaues, doch bald nach der Wende streifte der gelernte Werkzeugmacher mit Gleichgesinnten aus einer lokalen Bürgerinitiative durch das Gelände. 1995 eröffneten sie im ehemaligen Dorfkonsum die erste Ausstellung zur Geschichte des Ortes.

Mit einem Zeigestab bewaffnet stellt sich Martin Schnittler vor eine große Luftaufnahme des Geländes. Der Stab fährt die Strecke der Königlich Preußischen Militäreisenbahn ab, die 1875 von Schöneberg nach Kummersdorf gebaut wurde. Das Gelände lag abgeschieden genug, um hier auch geheime Kriegstechnik zu testen, war aber doch dank der Bahn bequem zu erreichen.

Schnittler spricht davon, wie der Krieg immer weiter technisiert wurde, zeigt die beiden großen Schießbahnen, auf der das Heer und Firmen wie Krupp ihre Waffen ausprobieren ließen, lässt dann den Stab auf das linke untere Ende der Aufnahme gleiten, wo ein rechteckiger Komplex die Forschungsstelle Gottow markiert, ein „Think Tank“ für Hochtechnologie der nationalsozialistischen Wehrmacht, geplant für bis zu 1.000 Wissenschaftler.

Neben der Luftaufnahme steht ein Modell der Flüssigkeitsrakete A2 (Aggregat 2). Wernher von Braun entwickelte sie in Kummersdorf, getestet wurde sie auf der Nordseeinsel Borkum. Von 1932 bis zum Umzug nach Peenemünde 1937 forschten von Braun und seine Kollegen zwischen märkischen Kiefern. Doch ein Schlagwort wie „Geburtsstunde der Raumfahrt“, das auf der Homepage des Vereins steht, nimmt Martin Schnittler nicht in den Mund, er bleibt lieber sachlich und zurückhaltend. Schnittler führt aus: „Wernher von Braun konnte als Zivilangestellter des Heereswaffenamtes hier zum ersten Mal unter professionellen Bedingungen seine Raketen ausprobieren.“ Nur wenn Schnittler provozieren will, sagt er: „Wir erfüllen deswegen hier bestimmte Kriterien für eine Unesco-Welterbestätte.“

Die Raketenprüfstände sind auf dem Gelände zum Teil noch erhalten. „Es sind dieselben, die Wernher von Braun in seiner Dissertation gezeichnet hat“, sagt Susanne Köstering, Geschäftsführerin des Museumsverbandes Brandenburg. Ihr Verband hat mit vielen anderen Partnern zusammen ein Konzept entwickelt, wie auf dem riesigen Gelände ein professionelles Museum entstehen kann. „Dieser Ort ist etwas ganz Außergewöhnliches“, sagt Köstering, „es gibt kein anderes vergleichbares Gelände in Deutschland, das so zu entwickeln wäre.“ Wie kein zweiter Ort veranschauliche Kummersdorf die Entwicklung von Militärtechnologie in dieser Vielfalt und Komplexität, steht im Museumskonzept.

Viel Raum für Legenden

Es gibt viel Platz für anderes – etwa regenerative Energien, um Geld einzunehmen

So verdienstvoll die Arbeit der Ehrenamtlichen um Martin Schnittler ist, so schnell stößt sie an ihre Grenzen. Die kleine Ausstellung im Dorfkonsum ist nur sonntagnachmittags geöffnet, Führungen auf dem Gelände selbst gibt es nur alle paar Wochen, da nicht genügend Leute da sind, die sie anbieten könnten. Eine Aufarbeitung der 70 Jahre Militärgeschichte an diesem Ort, eine Einordnung in die Geschichte des Militarismus im Kaiserreich und der NS-Verbrechen kann so kaum geleistet werden. Wer Wernher von Brauns Anfänge in Kummersdorf erwähnt, wird danach eben nicht nur nach Peenemünde blicken, sondern auch in die unterirdische Hölle des KZ Mittelbau-Dora. Ob beispielsweise auch in Kummersdorf während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter eingesetzt waren, weiß noch niemand.

Viel Platz bleibt in Kummersdorf noch für Legenden und Freaks, auch wenn Martin Schnittler sagt: „Wir sind noch nicht überrannt worden von Leuten, die wir hier nicht haben wollten.“ Das Problem ist wohl eher, dass zu wenige kommen. Als Start auf dem Weg zu einem professionellen Museum hat das Kulturministerium in Potsdam für dieses Jahr 21.000 Euro bewilligt, für eine neue Ausstellung und für mehr Honorarkräfte für Führungen.

Wie es weitergeht, ist indes völlig unklar. Denn um auf dem Gelände selbst eine Ausstellung einrichten zu können, müsste der Bund die munitionsverseuchte Fläche erst einmal an das Land Brandenburg übertragen. Zurzeit laufen hierzu „intensive Gespräche“, bestätigt das Finanzministerium in Potsdam, doch wann diese abgeschlossen sind, steht in den Sternen. Streitpunkt ist vor allem die Frage, wer die Millionenkosten für die Erkundung und teilweise Beräumung der Altlasten trägt. Im Finanzierungsplan für das Museumskonzept stehen hier allein für die erste Phase mehr als fünf Millionen Euro.

Die schiere Größe des Geländes erweist sich dabei aber nicht nur als Nachteil: Weil bei weitem nicht alle Flächen für eine museale Nutzung benötigt werden, wäre viel Platz für anderes – etwa regenerative Energien. Und so kalkulieren die Macher damit, ein Drittel der Kosten durch den Betrieb von Solaranlagen einzuspielen. Ein Plan, der das ganze Konzept realistischer macht, und ein Plan von geradezu symbolischer Kraft.

■ Mehr Infos: www.museum-kummersdorf.de