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Archiv-Artikel

„Ich bin doch kein Anarchist“

INTERVIEW KATHARINA KOUFEN UND LUKAS WALLRAFF

taz: Herr Westerwelle, FDP und Grüne haben eines gemein: Sie werden von gut ausgebildeten und gut verdienenden Menschen gewählt. Aber es gibt kaum Überläufer. Warum fischen Sie nicht stärker im grünen Teich?

Guido Westerwelle: Gibt es einen gesunden grünen Teich? Wenn Wasser grün wird, dann ist es meistens umgekippt.

Aber darunter gibt es ja vielleicht eine potenzielle Wählerschicht.

Wir werben bei allen gleichermaßen mit unserem Programm für eine liberale Geisteshaltung.

Im letzten Wahlkampf haben Sie die Grünen noch als „Schutzmacht der Windrädchen“ verspottet. Wäre es nicht Zeit zuzugeben, dass Sie das Thema Umwelt unterschätzt haben?

Die Umweltpolitik ist vor fast 40 Jahren vom FDP-Innenminister Hans-Dietrich Genscher erfunden worden. Und vor einem Jahr haben wir ein Umweltprogramm für Herz und Verstand formuliert. Man braucht beides. Die derzeitige Umweltpolitik produziert, bei allen guten Absichten, schlechte Ergebnisse.

Zum Beispiel?

Wer aus der Kernenergie aussteigt, gefährdet nicht nur Arbeitsplätze, sondern schadet besonders der Umwelt. Für manche Leser mag die grüne Partei der Maßstab sein – ich halte deren Umweltpolitik für schädlich. Ich glaube, dass Ideologisierung, Bevormundung und Überbürokratisierung das Gegenteil des Erwünschten bewirken.

Wieso sollte zum Beispiel ein Verbot von hohem CO 2 -Ausstoß das Gegenteil des Erwünschten erreichen?

Ich spiele eigentlich mehr auf Dosenpfand und andere Exzesse an …

und Sie sprechen von staatlicher Bevormundung. Zeigen die regenerativen Energien nicht, dass es staatliche Anreize braucht, um umweltfreundliche Technologien voranzubringen?

Einverstanden: Dass wir einen ordnungsrechtlichen Rahmen brauchen, ist klar. Ich trete für den Ausbau der regenerativen Energien als Teil eines Energiemix und für Forschung und technologischen Fortschritt ein, und ich habe auch nichts gegen staatliche Maßnahmen, wenn sie sinnvoll sind. Sie führen dieses Interview mit einem Liberalen vom Scheitel bis zur Sohle, nicht mit einem Anarchisten. Wir bejahen den Staat. Der Staat soll einen Anschub geben, aber keine Dauersubventionierung, die dann auch noch nach dem Motto funktioniert: Ist die Region besonders windstill, gibt es besonders viele Subventionen, damit sich das Ganze doch noch rentiert. Ich schaffe es einfach nicht – trotz aller Begeisterung für Knut –, den Verstand auszuschalten.

Gehört zu einer intelligenten Umweltpolitik auch, dass man den Menschen erklärt, dass sie sich einschränken müssen, etwa beim Fliegen?

Wenn man verlangt: „Keine Billigflieger!“, dann ruft die große Mehrheit „Ja, richtig!“ – und abends wird im Internet genau das gebucht. Übrigens auch von der Leserschaft der taz. Ich bin gegen eine Umweltpolitik, die den Flug nach Mallorca nur noch ab einem hohen Einkommen möglich macht.

Ihr Bekenntnis zum technologischen Fortschritt ist ein Markenzeichen der FDP. Ein anderes war früher das Eintreten für Bürgerrechte.

Was heißt früher? Diesen Vorwurf kann ich nicht ernst nehmen. In sieben Jahren Rot-Grün, auch nach dem 11. September, hat nur eine Partei in Sachen Rechtstaatlichkeit den aufrechten Gang gepflegt. Das war die FDP. Wer hat denn beschlossen, dass vollbesetzte Passagiermaschinen zum Abschuss freigegeben werden dürfen? Alles, was an Abbau von Bürgerrechten bis hin zum Beschneiden von Pressefreiheit stattgefunden hat, ist mit der Zustimmung von SPD, Grünen und Union erfolgt. Nur die FDP hat widersprochen.

Nach den gescheiterten Kofferbombenattentaten haben auch Sie sofort mehr Videoüberwachung gefordert.

Ich empfehle hier Maß und Mitte. Natürlich darf man die Republik nicht mit Videokameras zupflastern, so dass man keinen Winkel mehr hat, wo das berühmte Liebespaar sich herzen kann. Aber: An neuralgischen, gefahrgeneigten Punkten wie Bahnhöfen ist Videoüberwachung sinnvoll. Sollte die Freiheits- und Bürgerrechtsmedaille jemals von der taz verliehen werden, möchte ich sie für die FDP in Anspruch nehmen. Es ist keine zwei Jahre her, dass die Grünen den Einschränkungen zugestimmt haben, die das Verfassungsgericht dann als grundgesetzwidrig gerügt hat.

Rund um den G-8-Gipfel zeigten Sie viel Verständnis für die Sicherheitsmaßnahmen. Dass Briefe geöffnet, Geruchsproben genommen, Journalisten ausgeschlossen wurden – kein Problem für einen Liberalen?

Auch hier muss man differenzieren. Den unbegründeten Ausschluss von Journalisten haben wir kritisiert. Aber dass etwa der Zaun leider notwendig war, hat das kriminelle Verhalten von angereistem Gesindel gezeigt. Mir fällt kein freundlicheres Wort ein für Menschen, die Betonklumpen auf andere werfen und deren Tod in Kauf nehmen.

Im Nachhinein hat sich herausgestellt: Es wurden nur drei Polizisten schwer verletzt, die Randalierer waren eine kleine Minderheit. Muss man da nicht die Verhältnismäßigkeit der präventiven Maßnahmen neu bewerten?

Sie sollten die Ausschreitungen nicht relativieren. Und für eben jenen ganz überwiegenden Teil der Demonstranten, die friedlich waren, werden sich Liberale immer einsetzen, auch wenn wir die Globalisierung völlig anders bewerten, nämlich auch Chancen statt nur Risiken sehen. Polizeitaktische Details müssen ausgewertet werden. Für mich ist die Lehre aus dem Krawall-Samstag von Rostock: Alle Demokraten müssen unzweideutig klarmachen, dass Gewalt absolut inakzeptabel ist. Wer Steine wirft, findet kein Verständnis, sondern erntet ein Strafverfahren.

Rechtfertigt das auch Razzien bei linken Gruppen, Schnellverfahren gegen Steinewerfer und für die Zukunft noch mehr Online-Durchsuchungen?

Wenn jemandem Unrecht getan wurde, kann er in unserem Rechtsstaat vor Gericht ziehen. Wenn das Anzünden von Autos im Web erörtert wird, darf der Staat nicht zusehen. Wenn jemand ein Haus abbrennen will, darf man ihm auch vorher die Streichhölzer wegnehmen. Oder den Benzinkanister.

Auch in der RAF-Debatte gaben Sie sich hart. Während andere FDP-Politiker wie Klaus Kinkel für die Begnadigung von Christian Klar plädierten, stellten Sie sich vehement dagegen.

Ich habe nie Herrn Kinkel oder andere deswegen kritisiert. Aber ich bin strikt gegen die Begnadigung eines Serienmörders, der keine Reue zeigt. Er müsste sich zumindest bei den Opfern entschuldigen und zur Aufklärung seiner Straftaten beitragen. Ich bin gegen Privilegien für die RAF. Andere Mörder werden auch nicht frühzeitig freigelassen, wenn sie keine Reue zeigen.

Herr Westerwelle, lassen Sie uns über Ihre Partei sprechen. Die FDP ist ein Männerverein …

… das werden unsere Präsidiumsmitglieder Silvana Koch-Mehrin, Cornelia Pieper, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Birgit Homburger ungern hören.

Sorry, aber die Partei wird von Männern dominiert. Was haben Sie Wählerinnen zu bieten?

Zum Beispiel die eben genannten Frauen, die im engsten Führungszirkel der FDP mehr als ein Drittel ausmachen und eine hervorragende Rolle spielen. Wir arbeiten daran, dass noch mehr Frauen zu uns kommen.

Liberale Positionen sind in ihrer Wirkung oft frauenfeindlich. Beispiel: Ihre Ablehnung der Teilzeitregelung. Die hilft gerade Frauen mit Kindern.

Ich bin für ein gutes Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen. Die Frage ist nur, ob man das mit Gesetzen schaffen kann. Oft wenden sich gerade die gut gemeinten Vorschriften gegen die zu Schützenden. Nehmen Sie das so genannte Antidiskriminierungsgesetz. Das Ergebnis ist, dass die zu Schützenden zu Vorstellungsgesprächen gar nicht mehr eingeladen werden – aus Sorge der Arbeitgeber, sie könnten bei Verletzung der Dokumentationspflicht gleich eine Klagewelle am Hals haben.

Was schlagen Sie vor, um Müttern Teilzeitarbeit zu ermöglichen?

Etwa Ganztagsschulen und vorschulische Betreuung. Das Wichtigste aber ist, dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft so wächst, dass Arbeitskräfte gefragt sind. Wenn die ökonomische Lage gut und die Arbeitslosigkeit niedrig ist, haben Arbeitnehmer Macht und können Bedingungen stellen. Dann sind auch die Chancen auf Teilzeitjobs besser.

Mag sein. Kurzfristig wird das eine junge Wählerin mit Kindern wohl kaum überzeugen, weil sie nicht so lange auf bessere Zeiten warten will.

Genau mit dieser Haltung wurden so viele bürokratische Gesetze beschlossen, dass wir heute 46,5 Milliarden Bürokratiekosten pro Jahr allein für den Mittelstand haben. Das ist das Ergebnis dieser Haltung, zu sagen: Eigentlich ist es vernünftig, aber es hilft mir jetzt nicht. Ich kann niemandem das vernetzte Denken in der Politik ersparen. Wenn man etwas beschließt, muss man auch wissen, was die Wirkung ist.

Sie haben kürzlich gesagt, Sie seien von Angela Merkel persönlich enttäuscht. Warum eigentlich?

Ich habe von politischer Enttäuschung gesprochen. Mein persönliches Verhältnis zu Angela Merkel ist unverändert herzlich. Aber ich verhehle nicht, dass ich die Sozialdemokratisierung der Union bedauere und für einen Fehler halte.

Was meinen Sie? Merkel senkt die Unternehmensteuern und führt die Rente mit 67 ein. Man könnte sagen, sie hat ziemlich viel erreicht – dafür, dass sie mit der SPD regiert.

Die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Planwirtschaft im Gesundheitswesen. Ausbau von Bürokratie. Die Regierung blockiert ja sogar die Initiative ihres eigenen Wirtschaftsministers für ein neues, gerechteres Steuersystem – leider.

SPD-Chef Beck kann gut mit der FDP. Sie auch mit ihm?

In Rheinland-Pfalz haben wir erfolgreich mit Herrn Beck zusammengearbeitet. Aber bei der SPD stelle ich ein Driften in eine falsche Richtung fest. Wenn die pragmatischen ostdeutschen Sozialdemokraten aus der Führung gehen müssen, damit Frau Nahles hineinkommt, kann ich das nicht gut finden.

Mit Frau Nahles also keine Ampel?

Ich werde Wahlkampf machen für klare Verhältnisse, für einen Politikwechsel, nicht für irgendwelche Notlösungen.

Herr Westerwelle, Sie treten seit einiger Zeit betont ernsthaft auf und haben Ihr Image als Spaß-Guido abgelegt. Fiel das schwer?

Wir werden alle älter, will ich mal ironisch sagen. Der fröhliche Rheinländer bleibe ich. Aber dass einen wachsende Verantwortung prägt, ist wahr.