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Archiv-Artikel

Träumerin mit Ambitionen

Als Schriftstellerin berühmt, wusste Else Lasker-Schüler ihre Themen auch mit Bleistift oder Ölkreide zu bearbeiten. Zu erleben ist diese Seite ihres Lebens und Schaffens jetzt im Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück

Mit Prinz Jussuf ist nicht zu spaßen. Breitbeinig steht er da, das blonde Haar entschlossen ums kantige Gesicht gestrichen. In der rechten Hand blinkt ein Krummdolch, auf der Wand hinter ihm scheint bereits Blut zu kleben. Wer sich trotzdem an Jussuf herantraut, erkennt freilich bald, dass die Waffe hoffnungslos verbogen ist. Außerdem trägt der seltsame Krieger einen kleinen Davidstern auf der Wange und sieht überhaupt eher einsam als bedrohlich aus.

Else Lasker-Schüler ist als Schriftstellerin berühmt geworden, doch auch mit Bleistift, Feder oder Ölkreide wusste sie ihre großen Themen kunstvoll zu gestalten: das unbekümmerte Spiel mit den Geschlechterrollen, die Angst vor Krieg und Gewalt oder auch den energischen Einsatz für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen.

Die Ernst Barlach Museumsgesellschaft Hamburg hat der „Dichterin, Zeichnerin und Rebellin“ ein umfangreiches Ausstellungsprojekt gewidmet, das in ungewohnter Form im Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus zu sehen ist. Neben Fotografien und historischen Dokumenten werden hier eine Fülle von Originalzeichnungen und erstmals viele Briefe an Partner, Freunde und Weggefährten wie Herwarth Walden, Franz Marc oder Gottfried Benn gezeigt.

Das Phänomen Lasker-Schüler spiegelt sich so in unterschiedlichen Blickwinkeln. Da erscheint die exzentrische Künstlerin, die mit ästhetischen Konventionen bricht und sich – auf dem beschriebenen Selbstbildnis aus dem Jahr 1913 – als „Prinz (Jussuf) von Theben“ inszeniert. Die Kommunisten und Anarchisten zu ihren Freunden zählt und öffentlich für freie Liebe und die Abschaffung des Paragraphen 218 plädiert. Auf der anderen Seite die tief erschütterte Mutter, die vergeblich um das Leben des schwerkranken Sohnes kämpft. Dann sehen die Besucher Lasker-Schüler durch die Augen des Malers Franz Marc, der seiner schwermütigen Freundin ein Bild schickt und den Ratschlag beifügt: „Wenn Dich Dein Milieu zu sehr ärgert, besteige dies dunkle Roß und eile her.“ Schließlich begleiten sie die von den Nazis Vertriebene nach Jerusalem, wo Lasker-Schüler 1945 stirbt, ohne in der „Welt, die verfinsterte“, noch einen Hoffnungsstrahl erblickt zu haben.

Wie oft die Dichterin auch unfreiwillig zwischen die Fronten gerät, dokumentiert die Auseinandersetzung um die Verleihung des seinerzeit bedeutendsten, nach Heinrich von Kleist benannten Literaturpreises im Jahr 1932. Lasker-Schüler steckt wie so oft in finanziellen Nöten und bewirbt sich kurzerhand selbst: „Ich bin Else Lasker-Schüler, wollte Sie nur fragen, ob ich nicht mal einen Preis irgend woher bekomme – zum Beispiel von ihrer Kleiststiftung.“ Sie bekommt den Preis tatsächlich, muss ihn sich allerdings mit dem Blut-und-Boden-Dichter Richard Billinger teilen und eine Schmutzkampagne rechter Presseorgane über sich ergehen lassen. Ein Jahr später werden ihre Bücher öffentlich verbrannt.

Für Sven Jürgensen wird in dieser Ausstellung auch ein wesentlicher Teil städtischer Kulturpolitik sichtbar. Der Leiter des Osnabrücker Presseamtes hält Lasker-Schüler für geradezu „prädestiniert“, um in einem Museum, das den Werken des in Auschwitz ermordeten Malers Felix Nussbaum gewidmet ist, neu und anders entdeckt zu werden.

Das ist umso bemerkenswerter als das Nussbaum-Haus und das sich direkt anschließende Kulturgeschichtliche Museum mit ihren Ausstellungskonzepten nicht immer überzeugten. Erst kürzlich erwies sich der Versuch, den Maler Luca Cambiaso (1527–1585) unter dem Stichwort „Geometrie der Figur“ mit Kunstwerken der Moderne in Beziehung zu setzen, als kunstgeschichtlich zweifelhaftes Unterfangen.

In Fall von Nussbaum und Lasker-Schüler ist die Brücke tragfähiger: Die engen Räume des Museums enthüllen mit den Bildern, Briefen und Dokumenten das Schicksal einer jüdischen Künstlerin, die von einer anderen Welt träumte – und immer wieder auf den Boden der Realität gestoßen wurde.THORSTEN STEGEMANN

bis 3. 9., Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück