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Archiv-Artikel

„Oft reicht schon eine Punkfrisur“

Das Versagen der Polizei in Halberstadt war kein Zufall, sagt Opferberater Ohse

KARL-GEORG OHSE, 44, koordiniert die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern

taz: Nach dem Neonazi-Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt steht die Polizei Sachsen-Anhalts wieder am Pranger. Sind die Beamten in diesem Land besonders unfähig?

Karl-Georg Ohse: Nein. Ich glaube, das Szenario könnte sich heute überall in Deutschland wiederholen – in Mecklenburg-Vorpommern genau wie in Bayern.

Wieso reagieren die Polizisten regelmäßig falsch, wenn Neonazis zuschlagen?

Das Thema Rechtsextremismus ist für viele Polizisten aus ganz banalen Gründen ein rotes Tuch. Sie müssen rechte Übergriffe als Staatsschutzdelikte aufnehmen. Das bedeutet einen immensen bürokratischen Zusatzaufwand. Den scheuen viele.

Also reine Faulheit?

Nein, vielen Beamten fehlt auch die Sensibilität für Opfer rechter Gewalt. Denn die Opfer gehören zum Teil selbst in das Feindbild der Polizei: Ausländer, alternative Jugendliche, Punks.

Glauben Sie also, die Reaktion der Polizei in Halberstadt hat mit dem bunten Haar eines Schauspielers zu tun?

Meiner Erfahrung nach reicht leider oft schon eine außergewöhnliche Frisur, die nicht in die kleinbürgerliche Sicht der Leitkultur passt. Den Beamten fehlt das Feingefühl, zu erkennen: Das ist ein Opfer, dem es gilt zu helfen.

Ist es ein Problem, dass viele Ost-Polizisten in der DDR ausgebildet worden sind?

Das kann ich schwer beurteilen. Ich sehe aber durchaus ein Strukturproblem. Die Polizei ist in ländlichen Gegenden nicht nur unterbesetzt und schlecht ausgerüstet. Unsere Kontaktbeamten sind zum großen Teil Männer über 50. Die sind mit dem Thema rechte Gewalt völlig überfordert.

Und was kann man da tun?

Ich denke, es würde schon helfen, wenn Polizisten in ihrer Weiterbildung persönlich mit Opfern konfrontiert würden. Die Polizisten müssen begreifen, welche traumatischen Erfahrungen Menschen durchleben, die von Rechtsextremen angegriffen werden.

Die Ignoranz von Polizisten im Umgang mit Neonazi-Gewalt ist ein altes Problem. Hat sich in den letzten Jahren überhaupt etwas verbessert?

Ja. Die Sensibilität der Polizei ist auf jeden Fall gewachsen. Inzwischen wird das Thema in den meisten Führungsetagen und an Polizeischulen ernst genommen. Das war früher nicht der Fall. Ich denke also, es gibt zumindest eine positive Entwicklung.

INTERVIEW: ASTRID GEISLER