piwik no script img

Archiv-Artikel

Frau Rossbauer sucht das Glück

SEIN Bunte Schuhe, Spaß an der Arbeit, viele Freunde. Aber reicht das? Unsere Autorin will wissen, ob sie glücklich ist

Streben nach Glück

Das Ziel: Glück ist die subjektive Wertschätzung des Lebens, sagen Sozialwissenschaftler. Es definiert den Grad, in dem ein Individuum die allgemeine Qualität seines Lebens als Ganzes günstig bewertet. Mit Glück bezeichnen wir also alles, was gut ist.

Der Wert: Die New Economics Foundation erfand 2006 den Happy Planet Index. Er verknüpft Lebenszufriedenheit, Lebenserwartung und den ökologischen Fußabdruck. Die persönliche Punktzahl kann man ausrechnen auf: www.happyplanetindex.org.

Die Übung: Wer viel lächelt – also die Gesichtsmuskeln nach oben zieht –, ist glücklicher. Deshalb üben: Bleistift zwischen die Zähne klemmen, mit dem Unterkiefer nach oben drücken. So morgens Zeitung lesen, und die Welt wirkt viel freundlicher.

VON MARIA ROSSBAUER (TEXT) UND ANJA WEBER (FOTOS)

Die Gläser sind gespült, die flauschigen Fellhausschuhe im Schuhregal versteckt, auf dem Küchentisch stehen Butterkekse – alles ist bereit zum Vermessen meines Glücks.

Plötzlich kommen mir Zweifel, ich bin nervös. War es wirklich eine gute Idee, den Glücksforscher zu mir nach Hause einzuladen? Alles, was er sehen wird, hat eine Bedeutung. Was wird er von dem vertrockneten Schnittlauch auf dem Balkon halten? Was, wenn er den Schrank unter der Spüle aufzieht und ihm die Pfandflaschen entgegenrollen? Vielleicht kommt am Ende heraus, dass ich nicht glücklich sein kann, so wie ich lebe.

Doch ich wollte es so. Ich wollte nicht mehr grübeln. Ich wollte es wissen: Bin ich glücklich?

Ein Soziologe kommt auf Hausbesuch. Was sieht er?

Im April bin ich dreißig geworden. Auch wenn jeder sagt, dass sei nur eine Zahl – die Drei brachte mich zum Nachdenken. Sollte ich jetzt aufs Land ziehen, Kinder kriegen oder irgendetwas anderes Großes beginnen? Eigentlich geht es mir gut. Meine Arbeit macht mir Spaß, es gibt Menschen, die mir wichtig sind und mit denen ich viel Zeit verbringe. Trotzdem ist da dieses Gefühl, diese Frage: Reicht das zum Glück?

Ich bin Naturwissenschaftlerin. Ich glaube an Zahlen und Fakten. Es muss doch möglich sein, dass mir jemand genau sagen kann, ob ich glücklich bin.

Was mit einer einfachen Frage begann, wird in den nächsten Wochen zu einer Reise in mein Gehirn. Auf den Stuhl eines Psychiaters, eine Tour quer durch mein ganzes Leben. Mit dem Hausbesuch von Jan Delhey fängt es an.

Delhey ist Professor für Soziologie an der Universität Bremen. Er erforscht, wie Lebensbedingungen menschliches Glück beeinflussen. Die Frage nach Glück findet gerade viel Interesse – sogar der Bundestag hat eine Enquetekommission damit beauftragt, herauszufinden, wie zufrieden die Deutschen sind. Immer mehr Neurowissenschaftler wollen wissen, wie Glück im Körper funktioniert. Vor allem in den USA erforscht man heute nicht mehr nur Funktionsstörungen im Gehirn – also das potenzielle Unglück –, sondern auch jene Zusammenhänge, die Glück und Zufriedenheit steuern. Psychologen und Mediziner überlegen mehr und mehr, was positive Gefühle ausmacht und wann und warum sie auftreten.

Delhey hatte gefragt, ob wir uns in einem Café in seiner Nähe treffen könnten, in Berlin, wo seine Familie wohnt. Nein, ich wollte, dass er sieht, wie ich lebe, wollte alle Karten auf den Tisch legen. Ich rief ihn an. „Würden Sie auch zu mir nach Hause kommen?“ „Na, ausnahmsweise. Wo wohnen Sie denn?“ „In Neukölln.“

Es klingelt.

Delhey stellt seinen Rucksack ab und setzt sich vor die Butterkekse an den Küchentisch. Hellblaues Hemd, blaue Jeans, kurze, dunkelblonde Haare. Er wirkt wie einer, der lieber in den Bergen wandert, als auf Konferenzen Vorträge zu halten. Wir trinken Kaffee und plaudern. Delhey erzählt, wie er die Lebensqualität der Menschen in unterschiedlichen Ländern vergleicht. Und davon, dass Glück und Lebenszufriedenheit eigentlich das Gleiche bedeuten. Im Englischen gebe es nur das Wort happiness – für beides. „Ich verwende gern eine Formel, um Lebensqualität zu bemessen“, sagt Delhey. „Haben plus Lieben plus Sein.“ Mit Haben meint er Wohlstand. Lieben sind die sozialen Beziehungen, ein Partner und Freunde. Und Sein: Was man aus all den Gegebenheiten macht.

„Herr Delhey, können Sie mir sagen, ob ich glücklich bin?“

„Wir können uns ja mal umsehen“, sagt er und stellt die Kaffeetasse auf den Tisch. Wir besichtigen das Schuhregal im Flur, das Bad mit Stehwanne, das Wohn- und Arbeitszimmer. Delhey guckt sich ein wenig schüchtern um. Die Möbel sind aus Holz, selbst gebaut oder von Ikea. An den Wänden hängen Poster, Bilder von getrockneten Blumen, an den Fenstern geblümte Vorhänge, die meine Mutter genäht hat. An einer Wand kleben Fotos.

Die vertrockneten Kräuter auf dem Balkon bemerkt er gar nicht.

Mein Haben, urteilt der Professor: „Unauffällig.“ Er fragt, ob ich Vollzeit angestellt sei. Selbstständig, sage ich. Mein Verdienst ist nicht riesig, aber ich muss mir keine Sorgen um Miete und Essen machen. Trotzdem: Manchmal frage ich mich, ob ich nicht mehr verdienen müsste, und sicher ist das Geld als Selbstständige auch nicht.

Delhey erklärt, dass das Einkommen nur dann auf die Lebenszufriedenheit drückt, wenn Menschen weit unter dem Durchschnitt verdienen – wie Hartz-IV-Empfänger oder Geringstverdiener. Mehr zu verdienen würde mich vermutlich nicht glücklicher machen.

„Wichtig ist auch der Vergleich in seiner Bezugsgruppe“, sagt Delhey. Das eigene Rudel, der Freundeskreis. Verdienen da alle wesentlich mehr, kann man sich unglücklich fühlen. Auch wichtig: das Wohnumfeld. Arm sein in Hollywood wäre nicht so toll. Meine Freunde besitzen ähnlich wenig. Und ich wohne im Berliner Bezirk Neukölln: Keine echten Gucci-Brillen, die täglich vor der Haustüre vorbeiziehen, keine Porsches, keine riesigen Gärten. Wunderbar. Neukölln macht glücklich.

Der Professor deutet auf meine Gitarre. Es sei gut, ein Hobby zu haben, eine Selbstverwirklichung. Er analysiert jetzt wohl mein Sein. Je aktiver ein Mensch ist, sagt er, desto zufriedener. Ich spiele eher schlecht, sage ich. In Wahrheit berühren mehr Staubkörner als Fingerkuppen die Gitarre: Faulheit. Aber ich habe einen kreativen Beruf, meint er. Einen, der abwechslungsreich ist und mich immer wieder neu fordert. Auch das sei ein Glücksfaktor. Mein Sein, bilanziert Delhey, ist sehr stark.

Fehlt noch das Lieben. Delhey studiert die Bilderwand. Mein Freund hängt da gar nicht – nur Bilder meiner Familie, von Freundinnen und Exfreunden, die meine besten Freunde sind. Na ja, Partner kann ja noch werden, sagt er. Ich deute auf das Fach im Regal, in dem mein Freund seine Klamotten parkt. Delhey lächelt. Wer einen festen Partner hat, ist im Schnitt zufriedener, sagt er. Ob das wirklich so einfach ist? Kein Partner, weniger Glück? „Im statistischen Mittel schon“, sagt Delhey.

Die Lebensglückskurve, erklärt Delhey, verläuft wie ein U: Die glücklichste Zeit erleben Menschen in der Kindheit, danach sackt das Glück ab, bis zum Tiefpunkt mit etwa 45. Da ist die Belastung am größten, beruflich und meist auch durch die Familie. Außerdem muss man sich spätestens in diesem Alter von vielen Lebensträumen verabschieden: Wer bis dahin keine Familie hat, gründet keine mehr. Wer noch immer kein Rockstar ist, wird keiner mehr. Mit Mitte vierzig hängt man ganz unten im U. „Die berühmte Midlife-Crisis können wir in der Glücksforschung tatsächlich nachweisen“, sagt Delhey. Danach gehe es aber wieder bergauf: Die Kinder werden selbstständig, der Beruf wird entspannter. Erst dann lernen die meisten Menschen, sich mit dem zu arrangieren, was sie haben. Damit glücklich zu sein.

Mit dreißig sei ich in einem Alter, in dem ich noch eine Familie gründen, Rockstar werden und Karriere machen könnte. Eigentlich will ich das alles. Allein das Träumen davon, meint Delhey, macht schon glücklich. Zu all den Statistiken, sagt der Professor, komme aber noch eine Unbekannte: die Veranlagung. Menschen, die alles haben – Wohlstand, Liebe und ein aktives Leben – können trotzdem todunglücklich sein. Und andere, die einsam ein bescheidenes Leben führen, jeden Tag frohlocken.

Große Gefühle, kleine Botenstoffe

Aus Sicht des Soziologen scheint also alles in Ordnung zu sein: Ich habe einen Freund, einen kreativen Beruf und wohne in Neukölln, wo es weniges gibt, worauf ich neidisch blicken könnte. Und mein Alter lässt auch noch Möglichkeiten offen.

Aber wie sieht es mit meiner Veranlagung aus? Kann mein Körper Glück? Eigentlich sind Glücksgefühle nichts anderes als elektrische Signale im Gehirn, gesteuert von Botenstoffen. Die Frage ist nur: Welche davon sind relevant für mein Glück?

„Die Aussicht auf Belohnung ist wohl das Wichtigste, was uns im Leben antreibt“, sagt Burkhard Pleger am Telefon. Er leitet die Arbeitsgruppe Neurologie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Steht eine dieser Belohnungen bevor – ein Ausflug ans Meer, Apfelküchel mit Vanilleeis – springt in unserem Gehirn immer das gleiche System an. Dieses Belohnungssystem wird vor allem durch eines gesteuert: den Botenstoff Dopamin. Er ist für unsere Vorfreude zuständig. Nur durch ihn bringen wir oftmals die nötige Energie auf, uns aus dem Sessel hoch- und zum Glück hinzubewegen. Dopamin treibt uns an, ermutigt uns, bringt uns in Schwung. Die Menge an Dopamin im Gehirn ist bei jedem Menschen unterschiedlich. So fällt es manchen leicht, sich zu motivieren, anderen schwer. Pleger und seine Arbeitsgruppe in Leipzig erforschen das Dopamin.

Drei Buletten gegessen. Was bedeutet das?

Wenige Tage später stehe ich auf der Dachterrasse eines eiförmigen, grauen Gebäudes in Leipzig und gucke über die Stadt. Direkt an das Max-Planck-Institut grenzen bunt bepflanzte Schrebergärten. Das Glück im Kleinen – hier haben es Menschen gefunden. Und ich? Das Institut gibt es erst seit ein paar Jahren. Die Gänge sind bunt gestrichen, alles wirkt neu und offen. Es ist in Deutschland Vorreiter in der Erforschung positiver Emotionen und ihrer Gehirnprozesse.

Ein Doktorand aus Plegers Arbeitsgruppe führt mich in einen kleinen Behandlungsraum: Ich werde gewogen und gemessen, er zapft Blut in drei Plastikröhrchen. Damit sollen Nieren-, Leber-, Schilddrüsenwerte und einiges mehr bestimmt werden. Ein Labor analysiert mein Erbgut auf ein bestimmtes Gen: das DRD2 TaqA1. Es kann die Menge an Dopaminrezeptoren im Gehirn und damit die Wirkung von Dopamin beeinflussen.

Dann gibt es einen Stapel Fragebögen: Weinen Sie mehr als früher, wie sehr kritisieren Sie sich wegen Ihrer Fehler und Schwächen, wie groß ist Ihr Interesse an Sex? Ich kreuze an, ohne viel nachzudenken. Manche Bögen sollen besonders schnell beantwortet werden.

Es geht weiter: Computerspiele. Klick, klick, klick – ein paar Salzbrezeln gewonnen – klick, klick – viel Spielgeld verloren. Zwischendurch gibt es Essen – Knäckebrot mit Salami und Käse, kleine Buletten, Bananen, Süßes – ich hatte hungrig zum Termin kommen müssen. Erst später verrät der Doktorand, dass sie aufzeichnen, was und wie viel ich gegessen habe. Gut, dass ich mich nicht maßlos an den Buletten vergangen habe. Oder waren drei schon zu viel? Buletten. Was bedeuten sie für mein Glück?

Dann soll mein Gehirn gescannt werden: Magnetresonanztomografie. Bevor wir den abgedunkelten Raum betreten, muss ich alles, was Metall enthalten könnte, in einen Spind schließen. „Das MRT hat ein Magnetfeld, das 40.000-mal so hoch ist wie das Erdmagnetfeld“, sagt der Doktorand. Es würde alles Metallische anziehen. Ich lege mich auf die graue Liege. Dahinter: eine zimmerhohe, hellgraue Röhre, die Wände so dick wie fünf Brockhaus-Bände. Die Assistentin rückt mich zurecht, klappt ein graues Gitter vor mein Gesicht, über Kopfhörer höre ich 20er-Jahre-Swing. Ich soll ruhig liegen bleiben. Sie drückt mir einen Klingelknopf in die Hand, für den Notfall. Dann fährt die Liege hinein. Drinnen ist es eng. Die Musik soll das Rattern und Dröhnen der Röhre übertönen. Ich starre auf den kleinen Sternenhimmel über mir, lausche der Musik und versuche jedes aufkommende Jucken zu unterdrücken. Dann verschwimmen die Sterne, ich schlafe ein.

Zwei Wochen später. Wieder in Leipzig. Ich sitze mit Burkhard Pleger und Annette Horstmann bei Kaffee und Süßkram in der Kantine. Horstmann ist Neurobiologin in Plegers Arbeitsgruppe, sie hat meine Tests ausgewertet. Nun beugt sie sich über einen Stapel Papier. Tabellen, Skalen und Fragebögen – meine Testergebnisse. Pleger wippt entspannt im Stuhl nach hinten. Beide haben hellblonde Haare, tragen schwarze Oberteile, Jeans und bequeme Schuhe. Sie erklären viel, wedeln mit den Armen, lachen. Sie sehen aus, als würde es ihnen Spaß machen, mein Glück zu ergründen.

Ich warte.

Horstmann betrachtet die Aufnahmen von meinem Gehirn. „Es ist alles da“, sagt sie. Keine krankhaften Veränderungen, nichts, was dem Glück grundsätzlich im Wege steht.

„Und? Bin ich glücklich?“

„Auf jeden Fall sehr impulsiv“, sagt Horstmann und schmunzelt. Das hätte ich dir auch sagen können, wird mein Freund später sagen. Ich bin, wie Pleger es nennt, ein dopaminerger Typ. Mein Gehirn scheint voll zu sein mit dem Glücksstoff. Horstmann nennt es „eine Glücksbegabung“: Ich lasse mich durch Erfolge leiten, nicht durch die Angst vor Misserfolgen.

Aber kann das auch gefährlich werden? Jagen wir dopaminergen Typen nach Hochgefühlen, nach dauernden Belohnungen? Wie ein Fußballer, der einmal einen Pokal gewonnen hat, und dann immer wieder gewinnen muss? Vielleicht hatte ich zu viele Glückserlebnisse in meinem Leben, bin an ständige Dopaminausschüttung gewöhnt. Sodass es mir in einer normalen Phase fehlt. Ein klassisches Suchtverhalten. Ich bin im Glücksstress.

Horstmann beruhigt mich: Süchtig sei ich nun auch wieder nicht. Solange ich immer wieder kleine Erfolge erlebe, mich auf die ein oder andere Art belohne – durch gutes Essen oder neue Schuhe – sei ich eher glücklich.

Dopamin gilt als einer der wichtigsten Glücksstoffe. Doch er ist nicht der einzige Stoff: Endorphine lösen euphorische Gefühle aus, Adrenalin kann uns pushen, Mangel an Serotonin Depressionen auslösen. Aber niemand weiß, in welchem Verhältnis all die Stoffe gemischt werden müssten, damit wir uns glücklich fühlen. „Wenn man wissen will, ob Menschen glücklich sind, muss man mit ihnen sprechen“, sagt Pleger.

Ich schlendere durch die Leipziger Fußgängerzone. Das Dopamin ist ein Baustein, ich habe viel davon. Eine Glücksbegabung. Aber was, wenn die Erfolge einmal fehlen, die Glücksschübe? Kann mich das traurig machen, vielleicht sogar depressiv?

Ich muss weiter suchen. Ich frage Hans Förstl. Förstl ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar in München. Er untersucht die Unglücklichen, die Depressiven, die Suizidgefährdeten. Und er hat ein Buch geschrieben: „Glück, was ist das?“ Auch so kann man dem Glück wohl einen Schritt näher kommen: indem man sich die Unglücklichen ansieht, herausfindet, was bei ihnen schiefläuft.

Als ich in München ankomme, regnet es. Ich ziehe mein Rollköfferchen die Ismaninger Straße entlang, laufe durch die grauen Gassen des Klinikkomplexes und lande bei einer freundlichen Pförtnerin. „Was wollen Sie denn vom Herrn Förstl?“ Ich suche nach Glück, sage ich. „Na, dann sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie es gefunden haben.“

„Wenn jemand glücklich ist, dann Sie“, begrüßt mich Hans Förstl. Er sitzt auf einem Drehstuhl vor seinem Schreibtisch, verschränkt die Hände hinter dem Kopf und lächelt. Förstl hat schwarze Haare, die schon ein wenig grau werden, und einen Vollbart. In seinem kleinem Büro riecht es nach nassem Hund. Die Verursacherin füllt den halben Raum aus: Bella, schneeweiß und riesengroß.

„Warum bin ich glücklich?“ Wegen meiner farbenfrohen Klamotten, sagt er, und dem breiten Lachen. Ich trage rot-weiß karierte Schuhe, einen rot-weiß gestreiften Pullover, weite blaue Jeans. Ich mag Farben. Mein Schuhregal ist voll mit bunten Turnschuhen. „Sagt Ihnen die James-Lange-Theorie etwas?“ Ich setze mich auf einen der Stühle. James und Lange waren zwei Psychologen, überzeugt davon, dass die sogenannte Reafferenz bei unseren Emotionen eine große Rolle spielt. Soll heißen: Ich bin traurig, weil mir Tränen über die Backen laufen. Ich bin glücklich, weil ich lache. Würden mich also graue Schuhe unglücklich machen? Oder hätte ich meine bunten Schuhe nicht, wenn ich weniger glücklich wäre? Bin ich ein glücklicher Mensch, weil ich so viel lache?

Vielleicht ist es der Psychiaterstuhl oder Förstls offene Art, aber bald schon erzähle ich meine Lebensgeschichte. Von dem kleinen Dorf in Niederbayern, in dem ich aufgewachsen bin, von der Ausbildung zur Hotelfachfrau, davon, wie ich danach weg bin, in die Stadt, um das Abitur nachzumachen und Biologie zu studieren. Und dann noch die Ausbildung zur Redakteurin. Mein Leben besteht aus ständiger Veränderung, einem Streben nach mehr. Manchmal beneide ich diejenigen, die geblieben sind. Dafür, dass es ihnen gereicht hat, einen Beruf zu lernen und darin für den Rest ihres Lebens zu arbeiten. Ein Haus zu bauen, im Dorf, und nicht von der großen weiten Welt träumen zu müssen. Dafür, dass sie mit all dem glücklich sein können.

Der Städter sucht Ruhe, der Landmensch Aufregung

„In der Natur bedeutet Stillstand Tod“, sagt Förstl. Man muss im Leben Veränderung spüren. Die Abwechslung zwischen festen Ritualen und der Chance, dass etwas Unerwartetes passieren könnte. Außerdem seien meine Zweifel normal: Der hektische Städter, also ich, sehnt sich nach Ruhe und Gleichklang, der Landmensch träumt von etwas Aufregendem. Die Suche nach Glück sei wie das Fischen: Man legt es darauf an, etwas zu fangen, wirft sein Netz aus, wartet, hofft, erkennt Chancen und justiert nach. Jeder strebt nach Glück. Für manche liegt das ultimative Glück im Jenseits. Darum geht es: um das Streben nach Glück. In der amerikanischen Verfassung zählt es zu den Grundrechten. Erreichen werden wir das Glück nie, oder vielleicht nur hin und wieder ganz kurz. So wie der Hase, vor dessen Nase die Karotte an der Angel baumelt – manchmal kriegt er sie für einen Moment zu fassen, dann ist sie wieder weg.

Die Suche nach Glück ist wie das Fischen: Man wirft ein Netz aus und wartet

Aber habe ich nicht ein Recht auf Glück? „Ich glaube, sobald Sie es reklamieren, haben Sie es schon verwirkt“, sagt Förstl. In der Natur ist ewiges Glück nicht vorgesehen. Evolutionsbiologisch waren ohnehin die Ängstlichen im Vorteil. Die, die sich in ihrer Höhle versteckt haben. Die Glückseligen lagen fröhlich im Gras, bis der Löwe kam und sie fraß. Wir sind die Nachkommen der Angsthasen. Deshalb haben wir in unserem Gehirn auch weit mehr Areale, die für Angst, Schrecken und Unglück zuständig sind, als für Glück und Zufriedenheit. Unglück empfinden zu können – das war wohl der eigentliche Überlebensvorteil.

Was ist dann mit mir und meinem ganzen Glück, das mir der Soziologieprofessor und die MPI-Forscher diagnostiziert haben? Meiner Neuköllner Wohnung, meinem Dopamin-Level? Muss ich lernen, unglücklich zu sein, um für das Leben zu taugen? Ich ziehe meinen Rollkoffer zurück, die Ismaninger Straße entlang. Es hat aufgehört zu regnen, der Himmel in München bricht auf. Ich setze mich in ein Café, trinke Wasser und starre in die Luft. Nach dem Hausbesuch, all den Untersuchungen, den Scans und Fragebögen fühlt sich mein Kopf jetzt an wie die Wolken am Himmel, zerrissen und grau. Als wäre die Suche nach Glück ein Hirngespinst. Glück – ein unerreichbares Ziel.

Es wird langsam Abend.

Ob man einen Moment im Nachhinein als glücklich bewertet, darüber entscheiden zwei Punkte, sagen Neurowissenschaftler: der Höhepunkt des Ereignisses und das Ende. Daraus bilde unser Gehirn dann einen Mittelwert, und das Ereignis wird mit diesem Wert abgespeichert.

Ich glaube, die glücklichsten Momente meines Lebens waren, als mich mein Papa von der Schule abgeholt hat. Er hat vor dem großen Pausenhof gewartet, wir sind mittagessen gegangen, und ich habe meine eigene Lasagne gekriegt. Dann haben wir Ausflüge gemacht, nur wir zwei. Bei drei Geschwistern war das schon etwas Besonderes. Einmal sind wir mit dem Schiff auf der Donau gefahren und zu Fuß zurück gelaufen.

Plötzlich weiß ich, wen ich fragen muss. Ich wähle die Nummer, die sich nicht verändert hat, seit ich denken kann. Meine Mutter hebt ab. „Ich bin in München und würde den nächsten Zug nehmen.“ Zwei Stunden später steht meine Mama am Bahnhof und winkt. Wir fahren die Landstraßen entlang, durch den Wald, vorbei an Hopfengärten, durch viele Orte voller Erinnerungen. Meine Mutter biegt in den Hof ein. Am Haus blühen Rosen, der Apfelbaum trägt kleine Früchte, es duftet nach Thymian.

Mein Papa kommt mir auf der Treppe entgegen. „Na“, fragt er, „wie laffts?“ Gut, sage ich. Ich erzähle von Berlin, von Texten, an denen ich arbeite, von meiner Steuererklärung.

„Hmm“, sagt er.

„Gehen wir vielleicht eine Runde ums Haus“, frage ich. Mein Papa setzt sich auf die Treppe und zieht seine Schuhe an. Wir gehen in den Garten.

„Papa, ich schreib da an einer Geschichte.“

„Hmm.“

„Und ich glaube, ich muss dich auch fragen.“ Ich bin fast so nervös wie vor dem Besuch des Professors.

„Bin ich glücklich?“

„Du“, sagt er, „glücklich?“

Mein Vater guckt mich über den Rand seiner Brille an, dreht sich um und geht weiter. Er läuft vor mir zwischen Erdbeeren und Pfirsichen den kleinen Weg entlang. Ich sehe, wie er die Schultern hochzieht. Am Ende des Weges bleibt er stehen.

„Ja mei“, sagt er, „Ich weiß gar nicht, ob man immer so glücklich sein muss. Viel wichtiger ist doch, ob du zufrieden bist mit dem, was du hast.“

Wir bleiben einen Moment stehen und sagen nichts mehr. Die Grillen zirpen, ein leichter Wind weht uns entgegen. Wir gucken uns an. Und lächeln.

Maria Rossbauer, 30, ist sonntaz-Autorin. Spezialgebiet: Wissenschaft und Forschung

Anja Weber, 42, Fotografin in Berlin, sucht gerade ihr Glück in Form einer neuen Wohnung