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Archiv-Artikel

schurians runde welten Technik die stumm macht

CHRISTOPH SCHURIAN, 40, ist Redaktionsleiter. Auch er neigt zum Fußball-Rationalismus. Besonders in der Sommerpause.

„Überall wo man Liebe machen kann, ist auch Sport möglich.“

(Evo Morales)

Ich arbeite gerne sonntags. Arbeit ist das beste Mittel gegen den wattigen Ruhetag, der ja nur auf der Lauer liegt, bis die Werkssirenen wieder aufheulen. Auch andere müssen mit dem Sonntagmorgen klarkommen. In Düsseldorfs Hauptbahnhof drücken sich deshalb Schallwellen durch die Bunkerwände. Vor der Disco frieren aufgekratzte Strähnchenfrisuren, besteigen Taxis, huschen auf die Bahnhofstoilette. Gesprächsfetzen: „Nich‘ noch ne Line, du musst noch arbeiten!“ Und die Türsteher reden immer über das gleiche.

Wenn ich an den bulligen Typen vorbeikomme, zeigen sie ihr weißes stummes Lachen, weil einer gerade mit dem Schatten boxt – einen Kopfstoß ansetzt, eine rechte Gerade, einen Kick und dazu von seinen derben Abenteuern vor den Clubtüren Düsseldorfs schwärmt. Über Schlägereien können Sicherheitsleute offenbar nächtelang quatschen, sie scheinen ihre Arbeit zu lieben. Oder reden Fahrkartenverkäufer miteinander auch so viel übers Fahrkartenverkaufen, Bäcker über krosse Brötchen, Journalisten über geschliffene Formulierungen? Nö.

Zwar ist der Fußball eine globale Erzählung, ein Weltroman, die Fußballer selbst reden jedoch nur wenig über ihre Erlebnisse auf dem Platz. Sie rationalisieren das Geschehen lieber weg. Zerlegen das Spiel in seine Halbzeiten, Druckphasen, Anzahl der Chancen, Zweikampfverhalten. Nie versuchen sie zu beschreiben, was sie gerade gemacht haben. Wie es ihnen gelang, den Flankenball mit dem Oberschenkel anzunehmen, ihn sich gegen die Laufrichtung des Gegenspielers vorzulegen, das Leder halbhoch volley zu treffen. Die Zeitlupe nimmt ihnen das ab, die Technik hat sie stumm gemacht.

Auf dem Schulhof haben wir früher ausgiebigst tollkühne Fußballtaten beschrieben, besonders denen, die nicht dabei waren. Und wenn uns die Worte fehlten, haben wir mit Lauten nachgeholfen, mit ganzem Körpereinsatz: „Zosch kam der Ball an und dann und dann kloppich die Kugel, wrommm, genau auf ihn, der haut, waaaaawa, hochdrüber, der Ball kullert, bleppbleppblepp, rein, Tor, endgeil.“

Auch von Miro und Co. würde ich so etwas viel lieber hören, als ihre Pressebulletins am Spielfeldrand, die noch eine Frage aufwerfen: Wie kommen die gleichlautenden, nüchternen Auswertungszitate nach Spielschluss zustande? Warum können Fußballer nicht mehr ihre Tricks beschreiben, wohl aber heikelste Spielergebnisse kommentieren wie Bela Rety, äh, Anda, der Ex-Regierungssprecher? Haben die sich bei der Kabinenpredigt die drei eventuellen Sprachregelungen zurecht gelegt? Leider werden Sie es mir nicht erzählen.CHRISTOPH SCHURIAN