Was können wir tun?

betr.: „Nachts in Halberstadt. Punkfrisur provoziert Rechte“, taz Brennpunkt vom 11. 6. 07, „Überfall in Halberstadt: doch eine Festnahme“, taz vom 12. 6. 07

Schade, dass es erst Menschen aus dem öffentlichen Leben treffen musste, um alle Augen auf das Nazi-Problem in Halberstadt und im Harz zu richten. Dieses gewalttätige Vorgehen ist kein Einzelfall, nur betrifft es sonst meist Leute, die nicht von solch „öffentlichem Interesse“ sind. Was können wir tun, um Halberstadt davor zu bewahren, dass sich Bürger aus Angst und Gefühl der Bedrohung durch Neonazis zurückziehen, wegziehen, kapitulieren? Die offensichtlich mangelnde Befähigung einiger Polizisten, die sich laut Zeugenaussage einer Beteiligten des Überfalls während der Vernehmung sogar eher mit den Tätern als mit den Opfern solidarisieren, fordert umso mehr die Zivilcourage aller Menschen. Das heißt nicht nur einzugreifen, wenn jemandem Gewalt zugefügt wird, sondern sich generell selbst zu reflektieren, seine eigenen Vorurteile zu erkennen und diesen auch entgegenzuwirken. Jeder sollte sich fragen, mit wem er hier sympathisiert und wie weit er bereit ist, Stammtischparolen offen entgegenzutreten. Die latent vorhandenen Vorurteile gegenüber Andersdenkenden sind immer noch tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Die Gewalt und Attacken der Nazis richten sich zunehmend nicht mehr „nur“ gegen Punks oder MigrantInnen, sondern gegen jeden, der ihrer nationalsozialistischen Ideologie nicht folgen will.

Wir verstehen die Polizei nicht und sind gegenüber dem gezeigten Vorgehen nicht tolerant. Es ist ihre vornehmliche Aufgabe, den Staat zu vertreten und für die Verteidigung der Bürgerrechte zu sorgen. Wer, wenn nicht sie kann in so einem Fall noch eingreifen, denn an dieser Stelle ist es eigentlich schon zu spät. Hier ist die Stadt Halberstadt gefordert und darf sich nicht rausreden. Wir erinnern uns an die Situation Anfang der 1990er-Jahre, damals waren die Polizisten ebenfalls überfordert – Straßenkämpfe zwischen links und rechts waren an der Tagesordnung. Zwei qualifizierte, kompetente Streetworker haben damals maßgeblich zu einer Beruhigung der Lage beigetragen. Wir sind der Meinung, dass die Stadt Halberstadt eine Verantwortung hat und sie wahrnehmen muss: Diese könnte sie umsetzen, indem erfahrene und fähige Streetworker eingesetzt werden. Wenn Zuschüsse für Jugend- und Kulturarbeit mehr und mehr gestrichen werden, dann brechen Strukturen weg, die meinungsbildend wirken, politische Bildung vermitteln und somit einer braunen Nachwuchsrekrutierung entgegenwirken könnten. Notwendig ist eine umfassende Debatte über die rechtsextremen Tendenzen in allen Schichten unserer Gesellschaft. Rechte Gewalttaten wurden lange genug abgewiegelt, schöngeredet oder von der Presse vertuscht. Das hat die rechte Szene als Botschaft verstanden. Jetzt liegt es an uns allen, eine weltoffene, tolerante und demokratische Botschaft nicht nur zu proklamieren, sondern auch zu leben.

STEFFI FEHLERT, SERENA SCHRÖDER, SUSANN SCHULZE,

JAN PIRSIG, AXEL ELSTERMANN, MATTHIAS RAMME,

Halberstadt