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Archiv-Artikel

Absenz der Politik

Ein Band dokumentiert Nicholas Buschs Texte zur europäischen Abschottungspolitik

„Man empört sich über die ‚Frechheit der Armen‘, die aus Not zu uns kommen wollen (…) Dabei sollten wir doch froh sein über eine Welt, wo es noch solche Emigranten gibt. Denn wenn wir erst in einer Welt leben, wo die Armen nicht mehr kommen, dann ist überhaupt nichts mehr zu machen.“ Mit diesen Worten des verstorbenen schweizerischen Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt endet das Buch von Nicholas Busch über den Umgang Europas mit den Zuwanderern.

Neben diesem Interview aus dem Jahr 1989 mit Dürrenmatt lohnt die Lektüre des Buchs des „militanten Intellektuellen“, wie ihn der Schweizer Politiker Jean Ziegler nennt, der UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung. Denn es ist aus der Perspektive des engagierten Aktivisten geschrieben und zeichnet die Entwicklung des europäischen Systems der „Apartheid“ (Ziegler) nach.

Das wird etwa deutlich, wenn Busch über den Wandel der deutschen Asylpolitik berichtet und die anschwellende feindliche Haltung gegenüber Zuwanderern und bereits in Europa lebenden Migranten mit der Krise der Arbeit, der Massenarbeitslosigkeit und der Prekarisierung der Arbeits- und Lebensweisen in Verbindung bringt.

Man mag mit vielen Einschätzungen Buschs, was etwa den Zusammenhang von EU-Verfassung und Abschottungspolitik anbelangt nicht ganz einverstanden sein. Auch hat die Armut im Süden im Gegensatz zu Buschs Darlegungen nicht zugenommen, sondern in vielen Regionen, insbesondere in China, trotz globalen Kapitalismus abgenommen. Lediglich in Afrika wächst die Zahl der leicht an.

Der Graben der Ungleichheit zwischen Nord und Süd zeigt sich daher anders als früher weniger deutlich zwischen Nord und Süd, auch deshalb weil in den Industriestaaten die „Überflüssigen“ und das Prekariat anwachsen. Unthematisiert bleibt bei Busch auch die sich wandelnden Einstellungen gegenüber den Zuwanderern angesichts des wachsenden Bedarfs der Wirtschaft an Arbeitskräften aufgrund des demografischen Wandels in Europa.

Die Stärken des Buchs von Busch liegen dort, wo er als Aktivist konkrete Maßnahmen vor Ort darlegt. Dabei setzt er auf das aktive Engagement der Menschen in solidarischen Netzwerken, sich mit den Widersprüchen der Welt, vor allem dem herrschenden ökonomischen Modell und seinen negativen Auswirkungen zu beschäftigen. In lokale Initiativen, die durch Aktionen die Öffentlichkeit für die große internationale Politik und ihre lokale Realität, vor allem das Schicksal der Zuwanderer und Flüchtlinge sensibilisierten, setzte Nicholas Busch große Hoffnungen.

Busch, der 2005 im Alter von nur 57 Jahren verstarb, ist darin zuzustimmen, dass wir es bei der verantwortungslosen Abschottungspolitik in Europa und dem allzu zögerlichen Umbau unseres Wirtschaftsmodells „nicht so sehr mit einer vorsätzlichen Verschwörung, sondern vielmehr mit dem Nichtvorhandensein von Strategien, mit der dramatischen Absenz von innovativen Reflexionen, sozusagen mit einer Nichtpolitik zu tun haben“.

ARMIN OSMANOVIC

Nicholas Busch: „Baustelle Festung Europa. Beobachtungen, Analysen, Reflexionen“. Mit einem Vorwort von Jean Ziegler, herausgegeben vom Europäischen BürgerInnenforum (EBF), Drava Verlag, Klagenfurt 2006, 216 Seiten, 19,50 Euro