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Archiv-Artikel

Der erhoffte Prozess

Das Bundesverfassungsgericht muss oft in Eile entscheiden, ob die Polizei Demonstranten Auflagen erteilen darf. Der Anmelder der Hamburger Anti-Asem-Proteste lässt das nun in Ruhe klären

VON KAI VON APPEN

Vor einer Demonstration muss es schnell gehen: Den Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe bleiben nur wenige Stunden für die Entscheidung, ob die Polizei die Route der Demonstration ändern, die Länge mitgeführter Transparente beschränken und den Teilnehmern das „Rennen und Springen“ verbieten darf. Als der Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, früherer parteiloser Justizsenator der Hansestadt, kürzlich vor Hamburger Richtern über das Demonstrationsrecht referierte, äußerte er Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Auflagen. Im Eilverfahren aber seien sie kaum abzuwenden. „Wir haben im Moment leider kein Hauptsacheverfahren“, sagte Hoffmann-Riem. „Aber wir warten darauf.“

Jetzt bekommt der Bundesverfassungsrichter den erhofften Prozess. Andreas Blechschmidt, Anmelder der Demonstration gegen den Asem-Gipfel Pfingsten in Hamburg, wird den Instanzenweg bis nach Karlsruhe beschreiten. „Was in Hamburg zurzeit im Versammlungsrecht Realität ist, ist entwürdigend“, sagt sein Anwalt Marc Meyer.

Die 6.000 Teilnehmer der Asem-Proteste mussten im Wanderkessel laufen. Zudem hatte die Polizei weitere Auflagen verhängt: Die Demonstranten durften nicht „laufen und springen“ und keine Transparente an der Seite tragen, die länger als 150 Zentimeter sind. „Derartige Auflagen führen immer wieder zu Eskalationen während des Marsches und sind unsinnig“, sagt Meyer. Der neueste Clou: Die Anmeldung einer Demonstration soll 300 Euro Verwaltungsgebühr kosten.

Doch die polizeilichen Auflagen werden von den Verwaltungsgerichten immer wieder bestätigt – begründet mit den Lagebildern der Polizei. Zur Beschränkung der Länge der Transparente wurde in einem Fall beispielsweise angeführt, dass in der Vergangenheit eine Polizistin aus der Deckung eines Seiten-Transparentes heraus getreten worden sei. „Es blieb aber völlig im Unklaren, ob das Transparent vielleicht nur 70 Zentimeter lang war“, sagt Anwalt Meyer.

Bei einer Klage gegen die Auflagen bekommen die Kläger in der ersten Instanz oft Recht – wie beim Asem-Gipfel oder dem G-8-Gipfel in Heiligendamm. Vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) aber reicht die Polizei zumeist neue Lagebilder nach, die die Anwälte oftmals gar nicht zu Gesicht bekommen. Im Nachhinein stelle sich dann heraus, dass das „standardmäßige Beurteilungen“ seien, die aus Textbausteinen zusammengesetzt wurden. „Von einer individuellen Lagebeurteilung“, so Meyer, „kann keine Rede sein.“ Zu dem Zeitpunkt aber ist das Verfahren bereits verloren.

Folgt ein Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht, ist die Rechtsauslotung nicht einfach. In wenigen Stunden müssen die Verfassungsrichter in Karlsruhe das Lagebild der Polizei einer anderen Stadt einschätzen. Ihnen bleibt nur die Entscheidung darüber, ob die Beschränkungen so gravierend sind, dass sie einem Verbot der Meinungsäußerung gleichkommen. Wenn die Demonstranten etwa ohne Transparente an der Seite marschieren müssen, ist das zwar eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, kommt aber verfassungsrechtlich noch keinem Verbot gleich.

Dennoch sind für Marc Meyer diese Einschränkungen nicht tolerierbar. Wenn jemand ein Transparent von 150 Zentimetern Länge trage, dann sei dies kürzer als ein Bettlaken. „Die Meinungsfreiheit“, fragt sich der Anwalt, „ist also weniger wert als ein normales deutsches Bettlaken?“