Endlich Kopfnoten?

Am Mittwoch werden in NRW zum letzten Mal kopfnoten-freie Zeugnisse vergeben. Ab 2008 müssen Lehrer den Fleiß und die Teamfähigkeit der Schüler in Noten pressen – bis zum Abitur. Sind Kopfnoten zeitgemäß? Helfen Sie der Jugend, Werte zu entwickeln? Wird jetzt alles gut?

HANS DIELER ist Präsident der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen und geschäftsführender Gesellschafter der Textilhaus Dieler GmbH & Co. KG in Gelsenkirchen.

JA

Ich freue mich, dass das Arbeits- und Sozialverhaltens in den Schulen zukünftig benotet wird. Damit geht nicht nur eine alte Forderung der Industrie- und Handelskammern in Erfüllung. Die gern als „Kopfnoten“ vorverurteilten „Sekundärtugenden“ sind Schlüsselqualifikationen fürs Leben. Sie beinflussen nicht nur die Zukunftsfähigkeit einzelner Betriebe, sondern zunehmend die Gesellschaft insgesamt. Ihre Bedeutung zu stärken, heißt mehr Chancen zu eröffnen.

Wenn die Schule junge Menschen auf Beruf und Gesellschaft vorbereiten soll, muss sie ihnen auch frühzeitig Anhaltspunkte dafür geben, was nach der Schule von ihnen erwartet wird. Dazu gehört ohne Zweifel ein angemessenes Arbeits- und Sozialverhalten. Es reicht jedenfalls nicht, nur Fachwissen zu vermitteln. Die Schule hat auch einen Erziehungsauftrag. Das ist bislang in den Zeugnissen nicht deutlich geworden.

Erst durch die Wiedereinführung von Kopfnoten wird für viele Schüler und Eltern wieder sicht- und erkennbar, dass überhaupt irgendjemand Wert auf diese Kompetenzen legt. Insofern haben die Noten mehr als nur einen hohen symbolischen Wert. Sie sagen den Schülern, wo sie stehen, liefern Anreiz und Motivation. Gerade Schüler mit geringerem Fachwissen haben hier die Chance, Eigenschaften zur Geltung zu bringen, die sonst unberücksichtigt bleiben.

Individualität ist gut und richtig, aber wir leben in einer Gemeinschaft, in der wir miteinander zurecht kommen möchten und letztendlich auch müssen. Das gilt unter Nachbarn wie auch unter Arbeitskollegen. Und natürlich in der Wirtschaft insgesamt. Es ist ja nicht überraschend: Nicht Maschinen kaufen Maschinen. Es sind Menschen, die da handeln, mit Kunden in Deutschland und in der ganzen Welt. Und der Erfolg dabei, von dem wir alle leben, hängt immer häufiger von den sozialen und persönlichen Kompetenzen ab, die da aufeinandertreffen. Ja, auch deshalb müssen Arbeitgeber mit den Zeugnissen der Schüler Anhaltspunkte für ihr Arbeits- und Sozialverhalten bekommen. Sie gehören ebenso hierher wie der Ausweis von Fehlzeiten. Das ist nicht verwerflich, sondern Teil der Realität, in der wir leben.

Dass diese Benotung eine besondere Herausforderung für Lehrerinnen und Lehrer darstellt, ist gerade Arbeitgebern völlig klar, die jeden Tag bei ihren Mitarbeitern selbst solche oder ähnliche Beurteilungen vornehmen müssen. Ich sehe die Gefahr, dass Kopfnoten stärker von subjektiven Eindrücken beeinflusst werden als Fachnoten. Aber das darf nicht dazu führen, dass die positiven Impulse und Chancen, die davon ausgehen, ausgehen, verschenkt werden.

HANS DIELER

NEIN

Die Antwort der Landesregierung auf die unbefriedigenden PISA-Ergebnisse heißt: kleine Kinder perfekter sortieren, Leistungsdruck verstärken, Kontrollen erhöhen, mehr Disziplin verlangen und das Ganze individuelle Förderung nennen. Mehr Disziplin soll durch die Wiedereinführung von sechs (!) Kopfnoten für Arbeits- und Sozialverhalten erreicht werden. Auch auf Bewerbungs- und Abschlusszeugnissen.

Man braucht keine prophetischen Gaben um vorherzusagen, dass auch das die individuelle Förderung nicht verbessern, sondern vor allem ein Beschäftigungsprogramm für Verwaltungsjuristen wird. Wie bei den verbindlichen Übergangsempfehlungen zu den weiterführenden Schulen werden Eltern sich zu wehren wissen. Es wird Einsprüche hageln, wenn sie Kopfnoten als „ungerecht“ empfinden und die Chancen auf Ausbildungs- oder Studienplätze ihrer Kinder beeinträchtigt sehen.

Kopfnoten können nicht objektiv sein. Darin waren sich die allermeisten Sachverständigen aus Wissenschaft und Schulpraxis bei einer Anhörung im Landtag einig. Es gibt keine einheitlichen Bewertungsmaßstäbe. Lernziele und Standards sind nirgendwo in Lehrplänen differenziert beschrieben, dem Zufall und sogar der Willkür sind Tür und Tor geöffnet. Auch als Disziplinierungsmittel taugen Kopfnoten nur höchst eingeschränkt. Sie versagen gerade bei solchen Jugendlichen, die sich innerlich bereits aufgegeben haben.

MARIANNE DEMMER, 60, ist gelernte Grund- und Hauptschullehrerin. Die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende in NRW ist seit 1997 Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands der GEW. Seit 2005 ist sie zudem stellvertretende GEW-Bundesvorsitzende.

Das Verhalten eines Schülers kann im Verlauf eines Schuljahres und je nach Lerngegenstand äußerst unterschiedlich sein. Es in einigen wenigen Ziffernnoten zusammenfassen zu wollen, stellt eine völlige Überforderung der Lehrkräfte dar. Jeder Lehrer kennt Schüler, die sich je nach Interessiertheit mal diszipliniert und mal störend verhalten. Jede Schule kennt Schüler, deren Verhalten von Lehrer zu Lehrer variiert.

Warum also überhaupt Kopfnoten? Bei der Landtagsanhörung wurde deutlich: Vor allem die Wirtschaft wünscht dringend diese Informationen „auf einen Blick“, um die Vielzahl von Bewerbungen schnell sortieren zu können. Dass auf diesem Weg jedoch immer die geeigneten BewerberInnen gefunden werden – auch diese Hoffnung könnte trügen. Bislang sind keine Untersuchungen darüber bekannt, ob Schulen und Wirtschaft mit den unterschiedlichen Begriffen und Ziffernnoten überhaupt gemeinsame Vorstellungen verbinden. Die kreativen Querdenker oder diejenigen, die auch mal gegen den Strom schwimmen, wird die Wirtschaft so vermutlich gar nicht finden. Obwohl gerade auch die dringend gebraucht werden.

MARIANNE DEMMER