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Archiv-Artikel

Abflug nach Osaka

Deutschlands Mehrkämpfer trafen sich in Ratingen. Sensationen bot das Wochenende nicht. Doch es barg immerhin die Erkenntnis, dass es wohl kaum deutsche Medaillenkandidaten für die WM gibt

AUS RATINGEN BERTRAM JOB

Der nächste Flieger ist nie weit entfernt bei diesem Spektakel. Das Stadion des Turnvereins Ratingen 1865 liegt so dicht an der Einflugschneise des Düsseldorfer Flughafens, dass man die startenden und landenden Maschinen jeweils hinter der nächsten Wolke wähnt. Und im Grunde sind sie die wirklichen Pokale beim mittlerweile schon tradierten Mehrkampf-Meeting in der emsigen Vorstadt zwischen Rhein und Ruhr. Wer von den deutschen Spitzenkadern sich hier bewährt, darf in Kürze das Ticket zu einem internationalen Wettbewerb ziehen. Das ist ein stolzer Preis in diesem Jahr, das für die Zehnkämpfer und Siebenkämpferinnen des DLV in einige Fernreisen kulminiert – mit der EM der U23 in Debrezen sowie der WM in Osaka.

„Wenigstens nach Debrezen“ wollte also der 20-jährige Arthur Abele gelangen. Am Ende eines für ihn prächtigen 1. Wettkampftages aber erwies sich, dass sogar noch mehr Flugmeilen möglich sein könnten. In Abwesenheit des letztjährigen Jahresbesten Dennis Leyckes (Bandscheibeneinriss) schraubte sich der kampfstarke Ulmer im Hochsprung auf 2,04 Meter, womit er seine persönliche Marke binnen fünf Wochen um 13 Zentimeter steigerte – und landete mit 4.230 Punkten vorerst auf Platz zwei. Besser konnte er sich für seine Pleite in Götzis, wo er vor drei Wochen wegen einer Blutvergiftung den Wettkampf abbrechen musste, kaum revanchieren. So sprudelte es bald aus ihm heraus: „Vielleicht ist jetzt ja auch Osaka noch möglich.“

Die rasante Geschichte des jungen Aufsteigers war ganz nach dem Geschmack des sichtbar ausgedünnten Ratinger Publikums, das sich nach neuen Hoffnungsträgern sehnt – noch sind hier mit Willi Holdorf, Kurt Bendlin und Frank Busemann die prominentesten Figuren des Mehrkampfs auf der Tribüne statt im Wettbewerb zu finden. Sie kam aber auch den Verantwortlichen im Zehnkampf-Team zugute, die Ambition und eine gesunde Konkurrenz im breit angelegten Kader provozieren wollen. Am Abend vor dem Wettkampf hatte der Präsident und ehemalige Weltklasse-Athlet Paul Meier seine Starter in der sogenannten „stillen Stunde“ gefragt, wer von ihnen in hier seine Bestmarke verbessern wolle – und 20 Aktive hatten sofort aufgezeigt. „Das ist doch genau das, was Sie sich auch in einer Firma wünschen würden“, warb Teammanager Claus Marek um Sympathie für „lauter engagierte Mitarbeiter“. Marek und Meier haben einen Weg der „Offenheit und Kommunikation“ (Marek) gewählt, um die Leistungen ihrer vom Dachverband ausgegliederten Firma einer misstrauischen Öffentlichkeit anzubieten. Ihr bestes Produkt, André Niklaus, ging in Ratingen jedoch nicht an den Start: Wegen einer Aduktorenzerrung entschied sich der Hallen-Weltmeister von 2005, seine deutsche Jahresbestmarke von 8.340 Punkten aus Götzis lieber stehenzulassen. So wie für ihn ist sie wohl auch für seine Teamkameraden derzeit kaum zu knacken. Bei aller Dichte im Bereich zwischen 7.500 und 8.200 Punkten drängen sich hinter Niklaus daher kaum Medaillenkandidaten für Osaka auf. Und es bleibt abzuwarten, ob der Enthusiasmus des Ratinger Publikums unter diesen Umständen auch im übrigen Land verfängt. Wie eine kleine, aber um so treuere Glaubensgemeinschaft drängten sie sich am Sonntag um die Wettkampfstätten, um die Rückkehr der Favoriten zu erleben.

Oder packende Duelle: Da übernahm der 21-jährige Norman Müller mit einer Solodarstellung über 5 Meter im Stabhochsprung die Führung nach acht Wettbewerben – und steuerte auf ein Endresultat von über 8.200 Punkten zu, wurde aber von Abele im abschließenden 1.500-Meter-Lauf doch noch abgefangen (8.269 Punkte), womit Abele Pascal Behrenbruch aus der Maschine nach Osaka warf.

So oder so ist eine jüngere Auswahl an deutschen Zehnkämpfern mit Sicherheit noch nie zu einer WM der Leichtathleten angereist. Fast zeitgleich konnte unterdessen Lilli Schwarzkopf nach dem Speerwerfen der Frauen der Weltjahresvierten Jennifer Oeser die Führungsposition abjagen, um sie am Ende mit 6.343 Punkten noch auszubauen. Hinter Oeser (6.250) konnte sich Sonja Kesselschläger vom SC Neubrandenburg (6.184) das dritte Ticket zur WM in Japan sichern. Sechs Starterinnen erzielten bei dem Meeting über 6.000 Punkte, weshalb Bundestrainer Klaus Baack nicht unzufrieden war – breiter aufgestellt war das Frauenteam selten.