: An den Pranger
FALL CIFTLIK Anklageschrift wird lanciert, obwohl ein Verhandlungstermin noch nicht feststeht
Es gibt noch nicht einmal einen Termin für eine Gerichtsverhandlung, aber der Wortlaut der Anklage ist bereits öffentlich nachzulesen. In aller Detailfreude zitierte Die Welt gestern aus einer angeblich 40-seitigen Anklageschrift, die ihr vorliege. Sie listet die Vorwürfe gegen den früheren SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Bülent Ciftlik auf – ein Fall von hoher politischer Brisanz.
Der 39-Jährige soll Wahl- und Urkundenfälschung begangen, eine Scheinehe angestiftet und einen Ex-Mitarbeiter geohrfeigt haben. Vor zehn Tagen war er nach mehr als drei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil es noch immer keine Entscheidung über ein Hauptverfahren gab.
In einem ersten Verfahren wegen Anstiftung einer Scheinehe hatte die Staatsanwaltschaft Ciftlik auch wegen des Verdachts der Manipulation von Beweismitteln und der Anstiftung zur Falschaussage angeklagt. So soll er eine ihn entlastende E-Mail unter falschem Absender an die Ermittlungsbehörden lanciert haben. Offen ist, von wem gefälschte Polizeivermerke stammen, welche Ende 2009 die SPD-Abgeordneten Thomas Böwer und Mathias Petersen diskreditiert hätten – wären sie denn echt gewesen. Beide treten als Nebenkläger auf.
2010 war Ciftlik zu einer Geldstrafe verurteilt und von der SPD aus Fraktion und Partei ausgeschlossen worden. Gegen das Urteil gingen er und auch die Staatsanwaltschaft in Berufung.
Die Veröffentlichung der Anklageschrift „grenzt zumindest an Vorverurteilung“, sagt ein intimer Kenner der Hamburger Justiz: Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe, der ja im Gerichtsverfahren erst ermittelt werden soll, werde ein Angeklagter „an den Pranger gestellt“. Es sei mehr als fraglich, so der Jurist, „was das mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu tun hat“.SVEN-MICHAEL VEIT