Des Führers Schatten

KUNST Im ehemaligen Atelier des Nazi-Bildhauers Arno Breker in Dahlem soll ein Museum für Skulpturen der Nachkriegsmoderne entstehen. Dafür müssen die ansässigen Künstler ihre Ateliers räumen. Das Vorgehen sagt viel über den Umgang mit dem NS-Erbe in der Stadt aus

Dass ein SPD-Kultursenator keinen intelligenteren Umgang mit der NS-Geschichte pflegt, ist bedenklich

VON NINA APIN

Der Käuzchensteig in Dahlem ist eine der idyllischsten Kunstadressen der Stadt. Die Straße, gesäumt von Einfamilienhäusern mit gepflegten Gärten, ragt in den Grunewald hinein. Am Sackgassenende erhebt sich ein wuchtiger, gelblicher Ziegelkubus, flankiert von zwei niedrigeren Flachbauten und einem Garten, in dem monumentale Metallskulpturen im Gras lagern. Das Atelierhaus wurde zwischen 1939 und 1942 auf Hitlers Geheiß für seinen Lieblingsbildhauer Arno Breker errichtet, nach dem Krieg nutzte es der Breker-Schüler und Bildhauer Bernhard Heiliger zum Arbeiten und Wohnen. Heute ist der östliche Gebäudeteil Sitz der gemeinnützigen Bernhard-Heiliger-Stiftung, die den Nachlass des 1995 verstorbenen Bildhauers verwaltet. Im westlichen Teil, dem Haupt- und den ehemaligen Stein- und Gipsateliers Brekers, arbeiten Künstler in senatsgeförderten Studios.

Dass am Käuzchensteig seit einiger Zeit Unfrieden herrscht, hat mit dem Plakat im Fenster des Ateliergebäudes zu tun: „Kahlschlag!“ steht über einer Pressemitteilung vom 16. Mai, die vor einem „kulturpolitischen Alleingang“ des Regierenden Bürgermeisters und Kultursenators Klaus Wowereit (SPD) warnt. Der wolle, ist darin zu lesen, die zehn Künstlerateliers auflösen und auf dem gesamten Gelände ein „Museum für Kunst nach 1945“ einrichten. Und zwar klammheimlich. Die Künstler sehen ein intransparentes Gebaren des Kultursenators Wowereit am Werk: Mit 1,2 öffentlichen Lotto-Millionen, über deren Vergabe Wowereit mit entscheidet, soll die Bernhard-Heiliger-Stiftung, in deren Beirat Wowereit sitzt, ein Museum bekommen und sich so das ganze Gelände erobern. Riecht nach Klüngelei, meinen die Künstler.

Quatsch, sagt der Kultursenat: Man habe die Gelder bereits 2009 „unter Unterrichtung aller zuständigen Gremien“ beantragt und 2010 bewilligt bekommen, die Pläne seien auch dem Kulturausschuss bekannt. Sie sehen vor, 2013 am Käuzchensteig ein Museum für Nachkriegskunst zu eröffnen. Künstlerischer Schwerpunkt sollen die Skulpturen Bernhard Heiligers und seiner Zeitgenossen sein. Ein Museumscafé und eine Öffnung zum gegenüber liegenden Brücke-Museum sind geplant. „Das Projekt ist eine dringend nötige Aufwertung für den Museumsstandort Dahlem“, sagt Thorsten Wöhlert, Sprecher des zuständigen Kulturstaatssekretärs. Den Protest der Künstler verbucht er unter „übliche Abwehrkämpfe“.

„Es geht hier nicht um mein Eigeninteresse“, widerspricht Beate Terfloth und bittet in ihr Atelier im Mittelbau. Dass sie den Raum, für den sie unschlagbare 150 Euro zahlt, verliere, sei schade. „Aber der Vertrag war befristet, und dass eine Renovierung ansteht, wusste ich von Anfang an.“ Die 43-jährige Künstlerin kam vor sechs Jahren durch ein Stipendium an den Käuzchensteig. Der Ort, sagt sie, habe sie immer stark beschäftigt. Terfloth zeigt aus dem Fenster, wo vis-à-vis ein nüchterner weißer Flachbau steht. Das Brücke-Museum von Werner Düttmann wurde 1967 als Gegenentwurf zum Nazi-Monumentalismus gebaut – nach Plänen der „Reichshauptstadt Germania“ hätte an derselben Stelle ein pompöses Privathaus für Breker entstehen sollen. „Bislang hat mir der Umgang mit Geschichte hier imponiert“, sagt Terfloth. Erst die Eröffnung eines Museums für die naziverfolgten Brücke-Künstler, Anfang der 70er dann die Untergliederung des monströsen Breker-Tempels in kleinteiligere Atelierräume: „Ein bewusst demokratisches Bauprojekt“, lobt Terfloth und kramt ein Foto aus der Küchenschublade. Es zeigt Brekers ursprüngliches Atelier – sich aufbäumende Pferde und muskelstrotzende Körper aus Stein unter gigantischen Raumdecken. „Verstehen Sie, dass ein Heiliger-Museum an dieser Stelle ein falsches Signal wäre?“, fragt die Künstlerin eindringlich und sagt, dass die Heiliger-Stiftung plane, das zerpflückte Haupthaus wieder ins Monumentale rückzubauen. Die „Geschichtsblindheit“ dieses Unterfangens regt sie auf: „Arno Breker war nicht irgendwer, er hat die Bildsprache des Nationalsozialismus mit erfunden“, sagt sie. Deshalb solle man sich am Käuzchensteig kritisch mit der Zeit vor 1945 beschäftigen, statt dort „einen ästhetischen Mitläufer wie Heiliger als Heiligen der Nachkriegszeit“ zu feiern.

Noch härtere Worte für das geplante Museum findet der Fotograf Claus Goedicke, ein Ateliernachbar von Terfloth. „Die Sache stinkt doch“, ruft er. Schon vor Monaten habe der Senat leer gewordene Ateliers nicht neu vermietet, seitdem gehe die Bernhard-Heiliger-Stiftung im Atelierhaus ein und aus. „Die betrachten das schon jetzt als ihr Eigentum“, sagt Goedicke. Von den Museumsplänen hätten die Künstler erst spät durch Gerüchte erfahren. Dafür sei bekannt, dass Wowereit mit Sabine Heiliger befreundet sei – dass er nun für den Museumstraum der Heiliger-Witwe Geld lockermache, sei ja wohl kein Zufall. Auch nicht, dass Marc Wellmann, Sabine Heiligers Sohn und Leiter des Georg-Kolbe-Museums, für die Museumsleitung vorgesehen sei. So oder so: Das geplante Museum hält Goedicke für „komplett unnötig“, schließlich decke die Berlinische Galerie das Sammlungsgebiet der klassischen Moderne ab. Er hat seine Sachen dennoch gepackt. „Für mich ist das Kapitel Käuzchensteig abgeschlossen. Aber für die Zukunft des Hauses wünsche ich mir eine öffentliche Diskussion“, sagt der Fotograf.

Terfloth und Goedicke sind mit ihrer Meinung nicht allein. Auch der Kurator Thomas Wulffen oder die grüne Kulturpolitikerin Alice Ströver kritisierten die Planungen als unangemessenen Umgang mit der NS-Geschichte des Orts. Dass das Thema bislang kein breiteres Echo fand, liegt nicht nur an der Abgelegenheit des Käuzchensteigs, sondern auch an der Informationspolitik des Regierenden, der das Thema sehr sparsam angesprochen hat. In den kulturpolitischen Steuerungsrunden tauchte das Vorhaben nur als Protokollnotiz auf, eine Diskussion darüber gab es nie. Die wäre aber vonnöten, denn anscheinend herrschen noch unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie das Museum konkret aussehen soll. Ein „öffentliches Museum“ mit Café solle es werden, sagt Senatssprecher Wöhlert, für 2013 sei die Fertigstellung geplant. Die Witwe des Bildhauers werde dann aus dem Gebäude ausziehen.

Davon weiß wiederum Sabine Heiliger nichts. Die Bildhauerwitwe, die sich seit dem Tod ihres Mannes in der Stiftung engagiert, sagt: „Von Museum war nie die Rede.“ Eine ständige Ausstellung mit Werken Bernhard Heiligers und einigen Zeitgenossen schwebt ihr vor, ein Vorbild könnte die Liebermann-Villa am Wannsee sein: „Die kriegen es trotz abgelegener Lage ganz gut hin, Besucher anzuziehen“, sagt die freundliche ältere Dame. Die Liebermann-Villa ist allerdings ein privates Museum, getragen von einem Förderverein. Dass die in Kulturkreisen bestens vernetzte Berlinerin, die mit ihrem Sohn der Stiftung vorsteht, nicht geneigt ist, das Heft aus der Hand zu geben, merkt man bei einem kurzen Rundgang sofort.

Heiliger zeigt das modern eingerichtete Atelier des Bildhauers, die Stiftungsräume im Obergeschoss und die ehemalige Hausmeisterwohnung, wo sie ihr „Zweitbett“ habe. Das Haus sei „ein Faß ohne Boden“, klagt sie, renovierungsbedürftig bis zur Elektrik. Sie und die Stiftung seien allerdings nur Mieter, immer gewesen, letztendlich hänge das Schicksal des Hauses vom Senat ab. Welche Pläne hat sie selbst für das Gebäude, von dem sie sagt: „Das ist kein richtiger Nazi-Bau, sondern vor allem ein sehr gut gearbeitetes Ateliergebäude“? Sabine Heiliger blickt hinüber zu der Plane, die den Künstler- vom Stiftungstrakt trennt. Dann sagt sie: „Wissen Sie, ich will Breker nicht leugnen. Aber seine Omnipräsenz, die diesen Ort bis heute überschattet, geht mir auf die Nerven.“ Die größtenteils jungen Künstler, die sich „mit Lust an der NS-Geschichte“ abarbeiteten, kann sie nicht verstehen. Schließlich habe Breker nur kurze Zeit am Käuzchensteig gearbeitet, 1943 habe er seinen Arbeitssitz ins brandenburgische Schloss Jäckelsbruch verlegt.

Vom Furor der Künstler nebenan fühlt sich die Heiliger-Witwe überrumpelt und gekränkt. Verdrängen wolle sie niemanden, auch nach einem Umbau solle es noch ein, zwei große Ateliers für Stipendiaten geben. Aber im Gegensatz zu den Kritikern des Museums wünscht sie sich künftig nicht mehr, sondern weniger NS-Geschichte am Käuzchensteig. Man müsse doch auch mal nach vorne schauen, sagt Sabine Heiliger. So wie ihr Mann. Der habe als junger Künstler bei Breker gelernt und assistiert, sich dann aber ästhetisch neu orientiert.

Dann sagt Heiliger noch diesen einen Satz, der symptomatisch ist für die Crux des ganzen Museumsprojekts: „Irgendwann muss ja mal Schluss sein.“ Dass sie das als Witwe eines berühmten, aber immer wieder mit dem Etikett „Breker-Schüler“ versehenen Künstlers so sieht, ist verständlich. Dass ein SPD-Bürgermeister und Kultursenator keinen intelligenteren Umgang mit der NS-Geschichte dieses Dahlemer Künstlerhauses pflegt, ist dagegen bedenklich.