: Rostige Aussichten
PANNENSTATISTIK Mehr als 2.000 Atommüllbehälter in deutschen Lagern sind nach neuen Erhebungen beschädigt, doch die Dunkelziffer liegt weit höher
ATOMEXPERTE MICHAEL SAILER
GÖTTINGEN taz | Das AKW Brunsbüttel geriet zuletzt böse in die Schlagzeilen. Von bislang 409 in den Kellern des seit 2007 abgeschalteten Kraftwerks überprüften Atommüllfässern gelten 136 als stark beschädigt. Viele sind korrodiert, bei anderen ist die Ummantelung verformt oder durchlöchert. In einigen Fällen ist eine zähe Flüssigkeit ausgetreten: schwach- und mittelradioaktive Konzentrate, die sich an Fassoberflächen und am Boden angesammelt haben. Mit einer Spezialkamera aufgenommene Bilder zeigen auch stark zusammengestauchte Fässer, zum Teil sind die Übergänge zwischen den Behältern nicht mehr zu erkennen. Die defekten Fässer müssen nun aufwändig geborgen werden, die Technik dafür wurde in der Praxis noch nicht geprobt.
Brunsbüttel ist aber kein Einzelfall. Wie das NDR-Magazin „Panorama 3“ nun berichtet, sind bundesweit mehr als 2.000 Fässer mit Atommüll verrostet oder auf andere Art beschädigt. Das ergab eine Umfrage des Senders unter den 16 Atomaufsichtsbehörden der Länder. Ihren Angaben zufolge stehen oder liegen in den diversen Zwischenlagern und Sammelstellen insgesamt 85.000 Behälter mit schwach und mittelradioaktivem Abfall. Die 126.000 Fässer aus dem Salzbergwerk Asse, deren Zustand noch niemand kennt, blieben dabei außen vor. Die 2.000 kaputten Fässer sind demnach auf 17 Standorte verteilt, unter anderem sind das die Sammelstellen für radioaktive Abfälle der Länder Niedersachsen und Hessen in Leese und Ebsdorfergrund sowie ein Lager am AKW Biblis. Alleine im Forschungszentrum Karlsruhe sollen Prüfer bei Kontrollen mehr als 1.700 beschädigte Behälter mit radioaktivem Müll gefunden haben.
Experten gehen davon aus, dass die Anzahl der beschädigten Fässer und Container mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen noch weit höher ist. „Aus meiner Sicht sehen wir bislang nur die Spitze des Eisbergs und wissen nicht, wie groß der Eisberg unter Wasser ist“, sagt Michael Sailer, Atomexperte des Öko-Instituts und Chef der Entsorgungskommission.
Wenn heute nur wenig oder gar keine Korrosion an einem Fass festgestellt werde, könne das schon in wenigen Jahren ganz anders aussehen. „Weil wir noch kein Endlager haben, bleiben die Fässer noch mindestens sechs bis acht Jahre stehen. Da wird noch viel chemische Korrosion passieren.“ Auch die Bundesregierung als höchste Instanz der Atomaufsicht rechnet offenbar mit weiteren Funden. Die bisherige Übersicht ist unvollständig, räumt Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth ein. „Wir können noch nicht sagen, wann wir alle Daten zusammen haben.“
Im sogenannten Fasslager Gorleben wurden mehrere feuchte Stellen sowie abgeplatzte Farbe an einigen Behältern festgestellt. Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel verfügte dort einen Einlagerungsstopp. „Wenn bereits nach 30 Jahren Probleme bei der Aufbewahrung des Atommülls auftreten, ist die Sorge bezüglich der vor uns liegenden längeren Zeiträume nicht unbegründet“, so der Grünen-Politiker. REIMAR PAUL