: Am Ende gibt es wieder Strom
KINO AUS CHILE Alejandro Fernández Almendras’ beachtliches Debüt „Huacho – Ein Tag im Leben“ handelt von den elenden Tauschgeschäften des Alltags
Die ökonomischen Umverteilungen funktionieren im ländlichen Chile nicht anders als in den industrialisierten Regionen dieser Welt. Wenn die Kühe weniger Milch geben, müssen die fehlenden Einnahmen auf den Käufer abgewälzt werden. Zur Steigerung der Gewinnmarge wird die Milch zusätzlich gestreckt. Am Ende der Produktionskette steht dann Großmutter Clemira an der Einfallstraße ins nahegelegene Chillán und muss ihren Käse, den sie eigenhändig aus der teuer erstandenen Milch gewonnen hat, für 1.000 Peso statt für 1.500 verkaufen. Alejandro Fernández Almendras’ beachtlicher Debütfilm „Huacho – Ein Tag im Leben“ beschreibt gleich mehrere solcher Tauschverhältnisse, bei denen nie genug übrig bleibt, um eine Familie zu ernähren.
Im Charakter der Arbeit, die in „Huacho“ als Tauschwert fungiert, verdeutlicht Fernández Almendras auch einen gesellschaftlichen Wandel, dessen Folgen bis in die abgelegenen Regionen Chiles zu spüren sind. Die Großeltern Clemira und Cornelio verdienen ihren Lebensunterhalt noch mit Landwirtschaft, ihre Tochter Alejandra dagegen gehört bereits dem Dienstleistungssektor an. Sie muss amerikanische Reisegruppen bekochen, denen die stolze Geschichte des Landes referiert wird, zu der sie selbst keinerlei Bezug mehr hat.
Weil sich die körperliche Arbeit der Großeltern in ihrer Ritualhaftigkeit und zermürbenden Härte im Kino viel präziser inszenieren lässt, muss Fernández Almendras für die immaterielle Dienstleistung eine angemessene Form der Verbildlichung finden. Als Clemira, Cornelio, Alejandra und deren Sohn Manuel morgens beim Frühstück zusammensitzen, fällt plötzlich der Strom aus. Alejandra hat die Rechnung nicht bezahlen können, zugeben will sie das vor ihrer Familie aber nicht. Um die Situation zu klären, muss sie während der Arbeitszeit mit dem Bus in die Stadt. Geld besorgt sie, indem sie ihr neues Kleid im Geschäft umtauscht. In der physischen Bewegung Alejandras, vom Land in die Stadt, findet die Beschwerlichkeit der körperlichen Arbeit eine gelungene Entsprechung.
„Huacho“ nimmt diese Bewegung sehr schön mit, setzt formal aber auf Differenz. Jede Figur bekommt ihre eigene Geschichte mit einem eigenen Rhythmus. Die langen, ruhigen Einstellungen vom Alltag der Großeltern kontrastiert der Regisseur mit wackeligen, abrupten Bildern, wenn Alejandra und Manuel die Stadt durchqueren.
Der Titel ist doppeldeutig. Das Wort „Huacho“ umschreibt im regionalen Sprachgebrauch etwas Unvollständiges oder Zurückgelassenes – wie die Menschen, die längst den Anschluss an den gesellschaftlichen Wandel verloren haben. Gleichzeitig ist „Huacho“ die Bezeichnung für ein uneheliches Kind, was implizit die Abwesenheit der Vaterfigur im Film erklärt. Manuel wird somit zum zentralen Charakter von Fernández Almendras’ Film. Der soziale Konflikt, der an den Großeltern spurlos vorüberzieht und den die Mutter für ihr Kind noch zu moderieren versucht, zeichnet sich an ihm ab. In der Schule lassen seine Klassenkameraden ihn, den „Bauernjungen“, nicht an der Playstation mitspielen. Die Familie übernimmt hier ganz traditionell eine Schutzfunktion. „Irgendwann werden wir alle glücklich sein,“ sagt die Mutter. Und Fernández Almendras entzündet in dieser andächtigen Stimmung buchstäblich ein Licht der Hoffnung. Am Ende kommt der Strom zurück. ANDREAS BUSCHE
■ „Huacho – Ein Tag im Leben“. Regie: Alejandro Fernández Almendras. Mit Alejandra Yañez, Manuel Hernández u. a. Chile 2009, 89 Min. Im fsk, Segitzdamm 2
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