: „Völlig konträr“
DUISBURG II Anwalt Berlanda über das Urteil und die schwierige deutsch-italienische Zusammenarbeit bei Polizei und Justiz
■ Fast vier Jahre nach den Morden von Duisburg wurde am 12. Juli 2011 Giovanni Strangio zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht in der süditalienischen Stadt Locri sah es als erwiesen an, dass es sich bei Strangio um den Haupttäter des Sechsfachmords von Duisburg handelt. Gegen sieben weitere Angeklagte wurden ebenfalls lebenslange Freiheitsstrafen verhängt. Außerdem verurteilte das Gericht drei weitere Personen zu Freiheitsstrafen zwischen neun und zwölf Jahren. Drei weitere sprach es frei. Das italienische Recht erlaubt die Verfolgung von Verbrechen, die im Ausland verübt wurden, wenn die Opfer italienische Staatsbürger sind. Die ’Ndrangheta ist nach Ansicht von Experten heutzutage mächtiger als die sizilianische Mafia und gilt als einer der größten Kokainschmuggler der Welt. Die Morde von Duisburg gelten als erste Fälle, in dem eine Blutfehde verschiedener Clans im Ausland ausgetragen wurde. Bei Urteilsverkündung kam es im Gerichtssaal in Locri zu Wut- und Tränenausbrüchen der Angehörigen, aber auch zu Solidaritätsbekundungen mit der Justiz.
taz: Herr Berlanda, waren Sie selbst beim Prozess in Locri?
Frank Berlanda: Nein. In Italien darf man nur zwei Anwälte haben. Giovanni Strangio wurde vor Ort in Locri vom Kollegen Antonio Russo vertreten und in Rom, wo er aus dem Gefängnis dem Prozess per Videokonferenz zugeschaltet wurde, vom Kollegen Carlo Taormina.
Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Giovanni Strangio?
Seit der Urteilsverkündung habe ich ihn nicht mehr gesprochen. Ich weiß nicht aus erster Hand, wie es ihm geht.
Ihr Mandant sei verschachert worden, haben Sie gesagt. Was meinen Sie damit?
Das Problem, wo das Verfahren stattfindet sollte, gab es von Anfang an. Nach der Festnahme in Amsterdam gab es zwei Auslieferungsanträge: seitens Deutschlands und seitens der Italiener. Dazu gab es dann eine Konferenz in Reggio unter Beteiligung der Italiener, Deutschen und Niederländer. Laut Protokoll dieser Konferenz, das mir vorliegt, haben die Deutschen bereits da auf die Auslieferung verzichtet. Die Italiener sollten doch übernehmen, weil das Beweismaterial in Deutschland nicht mal zur Anklageerhebung reichen würde.
Ist der Prozess also rechtswidrig gelaufen?
Nein, soweit ich das als nicht unmittelbar am Prozess beteiligter Anwalt beurteilen kann. Meine Auffassung ist allerdings, dass, wenn Morde in Deutschland begangen werden, auch der Prozess hier stattfinden sollte.
Welchen Eindruck hatten Sie denn von den Ermittlungen?
Jetzt hört man, es sei alles eitel Sonnenschein gewesen. Es gab aber zwischen Deutschen und Italienern völlig konträre Auffassungen. Die Italiener sagten, die Deutschen hätten keine Ahnung. Und hier machte man sich lustig über die allgemeine Verschwörungstheorie, dass hinter jedem Baum die Mafia stünde.
Ist das ein Zitat?
Auch. Aber es steht vor allem für zwei total unterschiedliche Rechtskulturen. Die Behörden standen unter einem wahnsinnigen Druck. Der Kollege Taormina sagte mir: „Das Urteil war schon vorab geschrieben.“ Die Italiener haben einfach ganz andere Methoden zur Wahrheitsfindung bzw. zur Bestärkung des bestehenden Verdachts. Auch die deutschen Polizisten waren letztlich überrascht, dass es zu einer Verurteilung gereicht hat.
Zum Beispiel?
Wenige Zeugen vor Gericht, es geht immer nur um irgendwelche Abhör- und Überwachungsprotokolle. Letztendlich aber gab es auch in Italien kein überzeugendes Argument, das Strangio überführt hätte.
Also gute Chance für die Berufung, an der Sie weiterhin beteiligt sind?
Erst mal haben wir verloren. Aber der Fall ist eben wahnsinnig komplex. Und die eigentliche Absicht ist, in San Luca mal gründlich aufzuräumen.
Wurden Sie eigentlich von der deutschen Polizei beobachtet?
Ich wurde überprüft, ja. In den Ermittlungsakten findet sich immer wieder der Verdacht, dass der Angeklagte sich bei seinem Anwalt in Süddeutschland aufhalten könnte. In einem solchen Verfahren ist manches möglich.
Ist Strangio unschuldig?
Für mich ja. Er hatte weniger Motive als andere, die Tat zu begehen. Und es ist unklar geblieben, ob er sich überhaupt am Tatort aufgehalten hat: ein Urteil aus nicht haltbaren Vorwürfen.
■ Frank Berlanda lebt als Anwalt in Lörrach