: Neues vom Status-quo-Bewahrungskomplex
Deutschland ist Letzter geworden. In keinem anderen untersuchten Land setzen Lehrer Computer im Schulunterricht so spärlich ein wie hierzulande, so eine internationale Studie der International Association for Evaluation of Educational Acchiements (IEA). Elf Schüler teilen sich einen Rechner – genau so viele wie 2006. Damit ist die IT-Ausstattung in etwa auf einem Niveau mit der netzpolitischen Kompetenz der Bundesregierung und genießt auch eine ähnlich geringe Priorität. Um das ganze Thema nun aber endlich nach vorne zu bringen, hat man zum Glück Günther Oettinger als Digitalkommissar nach Brüssel geschickt und parallel zur NSA-Affäre vor einem Jahr Andreas Voßhoff zur Bundesdatenschutzbeauftragten gemacht. Einen Mann also, der als eine der ersten seiner Amtshandlungen Usern verbieten wollte, ihren Internetprovider zu wechseln. Dazu eine Datenschutzbeauftragte, die es in ihrer einjährigen Amtszeit geschafft hat, sich so unsichtbar zu machen, als wäre das Amt abgeschafft worden – das kann ja nur nach vorne gehen.
Am anderen Ende der digitalen Kompetenz wurde in dieser Woche ein Jubiläum besprochen: Zum 30. Mal jährt sich der BTX-Hack, bei dem deutsche Hacker eine gravierende Sicherheitslücke im Bildschirmtextsystem (BTX) der Bundespost entdeckten. Man könnte auch sagen: Das war der Tag, an dem es der kurz vorher gegründete Chaos Computer Club (CCC) erstmals in die Tagesschau schaffte – gemeinsam mit der Erkenntnis, dass es in Deutschland Computertüftler gibt, die Schwächen in Technik und Kommunikationsnetzen aufdecken.
Damals waren diese Technologien Neuland. Heute sind sie Normalität – außer in der Welt vieler Bundesregierender. Und eben im Schulunterricht.
Da ist er also wieder, der gute alte digitale Graben quer durch die Gesellschaft. Hier die absoluten Experten, dort das Tal der Ahnungslosen und Desinteressierten. Bis heute mühen sich die Sprecher des CCC, Regierenden und Judikative zu erklären, welche Risiken Computertechnik und deren Anwendung hat. Bis heute hinken deutsche Lehrpläne, Lehrerausbildung und Schulausstattung meilenweit hinter der drängenden Aufgabe hinterher, Schüler medienkompetent für eine immer stärker von digitalen Herausforderungen geprägte Lebenswelt zu machen. Was für den IT-Standort Deutschland mindestens genau so tödlich ist wie das Versäumnis, auch die deutsche Provinz endlich mit einigermaßen datenkräftigen, dasheißt schnellen Internetverbindungen zu versorgen.
Vielleicht liegt es ja am bildungsbürgerlichen Dünkel. Vielleicht geht ja das intellektuelle Abendland unter, wenn Schüler am Bildschirm lernen statt mit Zettel und Stift. Vielleicht ist das alles ähnlich schlimm wie wenn Bücher auf Lesegeräten statt auf Papier verbreitet werden, wenn eine Drohne über die Nordsee fliegt oder wenn Google auffindbar machen darf, was andere irgendwann einmal legal ins Netz gepostet haben.
Letzteres wird in Deutschland irreführenderweise „Recht auf Vergessenwerden“ genannt und ermöglicht es, unter ganz bestimmten Einschränkungen natürlich, in ganz Europa vereinfacht gesagt zu frisieren, was man beim Googlen über sich oder andere findet – jede Privatperson also ihre eigene kleine chinesische Zensurbehörde, überspitzt gesagt. Mit freundlicher Genehmigung eines Privatunternehmens, das entscheiden darf, was in Deutschland aus gutem Grund eigentlich immer Aufgabe von Gerichten war: abwägen, was dem Datenschutz unterliegt und was eine Information von öffentlichem Interesse ist.
In den USA wäre so etwas ja nicht drin: Dort entschied ein Gericht in der vergangenen Woche, dass Google seine Suchergebnisse sortieren darf, wie es das für richtig hält, weil es sich dabei um freie Meinungsäußerung handle. Regulieren hier, an der langen Leine lassen dort –und krack, ist auch der transatlantische digitalkulturelle Graben noch ein bisschen tiefer.
Eines muss man der German Technik- und Innovationsangst aber lassen: Manchmal trifft sie mit ihrem Status-quo-Bewahrerkomplex ja auch die Richtigen. Uber zum Beispiel, das sympathischste Privattaxiunternehmen unter der Sonne. Das machte in dieser Woche Schlagzeilen, weil es offenbar nicht nur Schmutzkampagnen gegen unliebsame Journalisten propagierte, sondern mit einem Tool namens „Auge Gottes“ auch alle Wege ihrer Kunden nachvollziehen können soll.
Pfui sagen wir da. Und sind damit endlich mal auf einer Linie mit den Geheimdiensten von NSA und BND. Für die ist Überwachung der Bürger doch Chefsache. Nicht dass vollumfängliche Informationen über Bürger am Ende noch in die falschen Hände gelangen!
MEIKE LAAFF