: Exodus der Christen
Nach drei Monaten haben die Kirchenbesetzer von Bielefeld aufgegeben. „Mehr war nicht drin“, sagt einer von ihnen. Einer neuen Synagoge in Bielefeld steht jetzt nichts mehr im Weg
VON KATHARINA HEIMEIER
Für große Analysen hat Hermann E. Geller keine Zeit. Das Fernsehen ist da und der Hörfunk auch. Es ist das vorerst letzte Mal, dass sich Kameras und Mikros auf den 67-Jährigen richten. Denn die Kirchenbesetzer von Bielefeld haben nach gut drei Monaten aufgegeben. „Es war nicht mehr drin“, sagt Geller.
Bis zum 12. September dürfen er und seine Mitstreiter die Paul-Gerhardt-Kirche noch nutzen. Die Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs gegen sie werden zurückgezogen. Im Gegenzug mussten sie die Besetzung der evangelischen Kirche sofort beenden. So haben sie es beim Vermittlungsgespräch am Donnerstagabend vereinbart. Drei Stunden lang sei es Hin und Her gegangen, berichtet Altpräses Hans-Martin Linnemann, der die Diskussion geleitet hat. Am Ende habe man sich auf den Kompromiss verständigt. „Es haben sich alle bewegt“, sagt Linnemann.
Doch zufrieden ist Geller nicht. Er und seine Mitstreiter hätten gehofft, die Kirche deutlich länger als bis zum September nutzen zu können. „Wir sind traurig“, sagt Geller. Über den bärtigen Mann, die anderen militanten Gläubigen und die Kirche mit den schwarzen Flaggen des Protests in Bielefeld haben in den vergangenen Monaten Journalisten aus ganz Deutschland berichtet.
Seit dem 25. März saßen Geller und seine Kollegen in Wechselschichten im Vorraum der Kirche – ohne Strom und Wasser. Doch davon ließen sich die Militanten nicht abschrecken. Sie zündeten Kerzen an, brachten Getränke in Thermoskannen und Bettpfannen mit. Auch als sie in der Kirche eingeschlossen wurden und ein Wachdienst vor der Tür Stellung bezog, harrten die Besetzer aus. Sie blockierten damit den Verkauf ihrer Kirche an die Jüdische Kultusgemeinde. Ihr Protest richte sich nicht gegen diesen Käufer, sondern gegen jeglichen Verkauf, betonten die Besetzer. Dennoch mussten sie sich auch mit dem Vorwurf des Antisemitismus auseinandersetzen.
Mit ihrem entschlossenen Protest machten die Besetzer den Präses der evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß, und den potenziellen Käufer und Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, Henry G. Brandt, ratlos. Eine Räumung durch die Polizei schloss die evangelische Kirche aus. „Wir wollen und werden keine Gewalt anwenden“, sagte Buß im Mai. Und Rabbiner Brandt appellierte an die Besetzer, den Weg für eine neue Synagoge in der Stadt frei zu machen. „Solange die Kirche besetzt ist, wird kein Kaufvertrag unterschrieben“, sagte er.
Jetzt ist der Weg für eine neue Synagoge in Bielefeld frei. Die Förder-Zusagen des Landes liegen längst vor, die Genehmigung der Kirchenaufsicht ist erteilt. Die Räumung sei „ein Meilenstein auf dem Weg zur Synagoge“, erklärt Andrea Rose, stellvertretende Sprecherin der Evangelischen Kirche von Westfalen. Man freue sich, dass der Konflikt friedlich und gewaltfrei gelöst werden konnte.
Zuletzt war der Druck auf die Besetzer gewachsen. Es wurden 832 Unterschriften für den Verkauf gesammelt. Oberbürgermeister Eberhard David (CDU) hatte in einer Ratssitzung an die Besetzer appelliert, die Entscheidungen der Kirchengremien zu akzeptieren, auch wenn er Verständnis für ihr Verhalten zeigte. „Der Streit um die Zukunft der Paul-Gerhardt-Kirche berührt viele Bielefelderinnen und Bielefelder emotional, auch mich“, sagte er.
Die Besetzer räumten gestern die Kirche. Die schwarzen Flaggen wehen schon seit der ersten Verhandlungsrunde nicht mehr. Romantisieren will Geller den Protest der Gläubigen nicht. „Ich bin kein Revoluzzer-Typ.“