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Dammbruch auf der Bühne

Köche, Stripper, Politiker, Deutschlehrer, Schauspieler – niemals zuvor gab es so viele Tourneen in Deutschland. Unser Bedürfnis nach authentischen Live-Erlebnissen ist offensichtlich unstillbar

VON GUNNAR LEUE

Als es den Beatles zu bunt wurde, sagten sie einfach: Okay, das war’s. Weil die Fans sie bei den Konzerten nur noch niederkreischten und die Musik dabei unterging, stellte die Band 1966 kurzerhand ihren Tourbetrieb ein. Fortan produzierte sie nur noch Musik im Studio. Das Ergebnis war erfreulich: Gleich das erste Album der neuen Ära, „Sgt. Pepper“ von 1967, trieb ihren ohnehin schon beträchtlichen Ruhm auf die Spitze.

Die Beatles konnten und wollten sich diesen radikalen Schnitt, den der Ausstieg aus dem Tourneezirkus bedeutete, leisten. Am üblichen Selbstvermarktungstrott für Musiker – Platte, Tour, Platte, Tour – änderte sich in der Folgezeit wenig, auch wenn immer mal wieder Protagonisten längere Konzertpausen einlegten. Touren gehört zum Musikgeschäft wie der als Manager getarnte Gauner. Dabei gibt es keine Schmerzgrenzen, wie der Keyboarder der für ihre Zerstrittenheit legendären Band Pink Floyd, Rick Wright, einmal erläuterte: „Gruppen können live auftreten, selbst wenn die Musiker einander abgrundtief hassen.“

Aufgrund der Krise des Tonträgerverkaufs und diverser Band-Reunions hat das Tourneewesen inzwischen eine neue Blüte erreicht. Man kann sogar sagen, es boomt wie nie zuvor. Auch dank Leuten, die früher nicht mal zum Spazierengehen aus dem Haus kamen und die eigentlich auch kein Mensch in einer Amüsierveranstaltung sehen wollte. Nachdem klassische Stubenhocker wie Schriftsteller jedoch seit geraumer Zeit von ihren Verlagen auf Lesereise geschickt werden, um ihre Produkte zu bewerben, tingeln nun auch noch alle die durch die Lande, die sich peu à peu in die Massenunterhaltung geschmuggelt haben und daran verdienen wollen: Bodybuilder (Chippendales), Dativschützer (Sebastian Sick), TV-Quasselstrippen (Biolek) und Köche. Die Rote Gourmet Fraktion war allerdings schon vor Tim Mälzer unterwegs, der demnächst auf „Ham’se noch Hack?“-Tour geht. Fehlt noch wer? Nö, Bob der Baumeister und Norbert Blüm kommen auch bald.

Nun ist es nichts Neues, dass Spitzenpolitiker a. D. auf Vortragsreisen durch die Welt ziehen, um den verspäteten Lohn für die Mühen des unterbezahlten Politikjobs einzustreichen. Bill Clinton soll für einen Vortrag bis zu 400.000 Dollar Honorar bekommen, bei Gerhard Schröder dürfte es nicht ganz so viel sein. Dafür sind es auch erlesene Kreise, in denen die Herren ihre teuren Gedankenausflüge starten. Für Semispitzenpolitiker a. D. der Union bietet das gleichnamige CDU-Magazin eine Zwischenvariante. Hannelore Rönsch, Matthias Wissmann und Laurenz Meyer, aus Minister- oder Generalsekretärsposten Gefallene, werden als Special Guests auf Kultur- und Politik-Sonderreisen nach Dubai oder Cadenabbia/Comer See offeriert.

Ihr Ex-Kabinettskollege Norbert Blüm macht es ganz anders, wieder mal. Nachdem sich der Politik-Ruheständler bereits im TV-Unterhaltungsgeschäft („Was bin ich?“, „Die Krone der Volksmusik“) tummelte, geht er bald zusammen mit dem Schauspieler Peter Sodann, der gerade seine „Tatort“-Kommissar-Laufbahn beendet hat, auf Deutschlandreise. In ihrem „Heimatabend“-Programm will das West-Ost-Duo „Blüm & Sodann“ eigene und fremde Texte vorlesen und ein wenig über dies und das plaudern. Der Herz-Jesu-Marxist Blüm und der betende Kommunist Sodann im öffentlichen Zwiegespräch, um „die Wahrheit mit Lachen zu sagen“, wie Norbert Blüm die performative Richtlinie erklärt.

Die Wahrheit als Unterhaltungskonzept, nach dem sich eine nette kleine Show abziehen lässt. Genau darauf hat der Profi-Narr Harald Schmidt gerade keinen Bock mehr, wie er kürzlich im Spiegel kundtat. „Es gibt keine großen Themen mehr, alles ist gleich bedeutend – oder gleich wurst.“ Das ist ja das Schöne, jeder kann labern, bis der Veranstalter kommt, der das auf die Bühne bringt. Klappt natürlich am besten bei Prominenten. Um noch mal Schmidt zu zitieren. Vom Papst bis zum „Nebenerwerbs-Philosophen Daniel Goeudevert, den man buchen kann. Es ist für alle gesorgt.“

Wenn „Blüm & Sodann“ gut läuft, könnte es nach aller Erfahrung mit den Showbizgesetzen sogar einen Trend begründen: Politiker, die nach ihrer Aktivenzeit bisher nur als Fernsehtalkmaster gebucht wurden, gehen künftig mit einem Liveprogramm auf Tournee, um dann mal Tacheles zu reden.

Das Geschäft könnte auch Bundestagspräsident Norbert Lammert nicht vermiesen, denn sein Aufruf zu einer freiwilligen Laberpause der Politiker bezieht sich nur auf die aktiven und ihre Fernsehauftritte. Für sie bleibt vorerst als Tourmöglichkeit weiterhin nur der Wahlkampf.

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