: Ein neues Kulturkapitel
Das Kulturressort hat eine neue (sozialdemokratische) Spitze, und die hat ziemlich viel Arbeit vor sich: Die mehrmals beschlossene Reorganisation der Verwaltung ruckelt seit zehn Jahren vor und zurück
Der gerade abgelöste Kultur- und Wirtschaftssenator Jörg Kastendiek (CDU) wusste offenkundig nicht, wie man mit Behörden zusammenarbeitet. Anstatt sich mit den Staatsräten und fachlich zuständigen Abteilungsleitern zu beraten, baute er um sich herum eine fünfköpfige Truppe junger Männer als Berater-Team auf, die weitgehend aus der CDU-Fraktion übernommen wurden – „Kastendieks boygroup“ sagten Insider aus der Verwaltung dazu.
Das Problem nun: Die Herren haben zwar zum Teil einen befristen Arbeitsvertrag, erheben aber einen Anspruch auf eine unbefristete Stelle. In den beiden Kastendiek-Ressorts sind damit eine Reihe von Stellen blockiert, die die neuen Chefs im Hause gern mit Vertrauenspersonen der SPD besetzen würden. Sie schlicht in die Verwaltung zu schieben, geht schlecht – das haben sie nicht gelernt. Und Thomas Röwekamp, der neue CDU-Fraktionsvorsitzende, möchte sie auch nicht wieder in den Apparat der CDU-Fraktion zurückholen. kawe
Von Henning Bleyl
Der neue Nebentitel des Bürgermeisters, „Senator für Kultur, Beiräte und Kirchenangelegenheiten“, klingt unweigerlich nach Gedöns. Umso engagierter bemüht sich Böhrnsen, der gestern die kulturellen Amtsgeschäfte von Vorgänger Jörg Kastendiek (CDU) übernahm, diesem Eindruck entgegenzuwirken. „Fragen Sie im Justizressort nach“, verweist er seine vollzählig versammelten künftigen Mitarbeiter auf das bisherige Nebenamt – „da werden Sie hören, dass ich das keineswegs nebenbei gemacht habe“. Der Bürgermeister könnte auch umgekehrt argumentieren: Dass der Volljurist Böhrnsen das Justizressort dem Garnicht-Juristen Ralf Nagel überlässt, verweist auf seine Ambition, sich substantiell der Kulturpolitik zu widmen.
Dort ist viel zu tun. Kein Unberufenerer als Kastendiek selbst verweist bei der Übergabe auf die offenen Baustellen: Neben vielem, was erfolgreich angeschoben worden sei, stehe leider die immer noch nicht vollzogene Reorganisation der Kulturbehörde. Kastendiek: „Eine neue Regierung hat vielleicht die Chance zu einem größeren Schritt.“ Böhrnsen revanchiert sich mit einem ebenso überraschenden Eingeständnis: Er lobt Kastendieks „heldenhaften Kampf mit dem Finanzsenator“ – gemeint ist das Gezerre mit dem mittlerweile vergraulten Ulrich Nußbaum um die Freigabe der Kulturmittel aus dem Anschluss-Investitionsprogramm. Als dieser Streit hochkochte, war eine Unterstützung des SPD-Bürgermeisters für den CDU-Kultursenator freilich nicht wahrnehmbar. Jetzt sagt der neue Fachsenator, der sich vor allem als „eifriger Kulturkonsument“ beschreibt: „Bislang saß ich im Publikum, jetzt will ich hinter den Vorhang schauen.“
In erster Linie aber war gestern die Stunde von Carmen Emigholz als neuer Kultur-Staatsrätin. Schon vor der Wahl hatte sie einen (inhaltlich gemeinten) „Beutezug in Sachen Kultur“ im Rahmen der Koalitionsverhandlungen versprochen. Dass sie damit, im Gegensatz zu einem entsprechenden Versuch vor vier Jahren, diesmal erfolgreich war, hängt auch mit dem innerparteilichen Machtgefüge zusammen: Als Vorsitzende des mitgliederstärksten SPD-Unterbezirks „Stadt“ war sie direkt an den Verhandlungen beteiligt. Nach zwölf Jahren als kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion hat Emigholz das Amt jüngst an Emin Sükrü Senkal abgegeben – der Computerfachmann und Parlamentsfrischling kam zum Zug, weil der erfahrene Kulturdeputierte Björn Tschöpe die Position des innenpolitischen Sprechers vorzog.
Die neue Ressortspitze kann mit Rückenwind aus der Szene rechnen. Der Kulturrat hat „elementare Forderungen“ wie die nach haushaltstechnischer Planungssicherheit, Aufwertung der Projektförderung und Bündelung der bislang in anderen Ressorts veranschlagten Kulturgelder aufgegriffen. Und: „Kultur bleibt ein eigenständiges Ressort.“ In Gegensatz zu Berlin und Kiel, wo Kulturangelegenheiten zwar zur Chefsache, aber auch zur Unterabteilung gemacht wurden.
„Eigenes Ressort“, das bedeutet – nicht zuletzt! – ein eigener Personalratsvorsitzender. Und der bringt bei der Amtsübergabe kritische Töne ein: Das Stimmungsbild unter den Kollegen sei nicht sonderlich gut, „vorsichtig ausgedrückt“, sagt Rudolf Schlumbaum. Was nicht verwundern kann: Von sechs Referatsleitungen ist eine richtig besetzt, die anderen fünf leiten nur „kommissarisch“. Auch auf der Amtsleiter-Stelle wechseln sich seit einem Jahr nur „kommissarische“ Vertreter ab. „Wir sind in vielen Bereichen nicht handlungsfähig“, sagt ein Mitarbeiter.
Der gültige Geschäftsverteilungsplan für die derzeit 32 Mitarbeiter (die betriebswirtschaftlich orientierte „Kultureinrichtungs-Beratung“ inklusive) ist ohnehin Makulatur. Das gilt insbesondere für die allgemeine „Abteilung 1“ für zentrale Aufgaben, deren Existenz die Selbstständigkeit eines Ressorts kennzeichnet. Die nominelle Eigenständigkeit von „Kultur“ hat also vor allem – einen durchaus wichtigen – symbolischen Wert. Als faktisch bedeutsamer könnte sich die Personalunion Kultursenator/Bürgermeister erweisen. Letzteren bei Mittelkonkurrenzen im Senat über den Tisch zuziehen, dürfte schwer fallen.