Schickt den Power Ranger!

JUGENDTHEATER Auf dem Festiwalla zeigen Gruppen aus ganz Deutschland ihre Stücke. Es geht um Krieg und Gewalt und um Gentrifizierung, etwa bei „#GentrifiHÄÄ??? #GentriDichSelbst!!!“, das heute Premiere hat

Die Workshops sind thematisch mit den Stücken verbunden und sollen außerdem dazu dienen, Möglichkeiten des Widerstands zu entwickeln

VON HILKE RUSCH

Wenn Gentrifizilla kommt, dann helfen nur Power Ranger. Power Ranger wie Solidarität oder Selbstorganisierung. Sogar die studentischen Soja-Chai-Latte trinkenden Yuppies müssen sich inzwischen nach Sonderangeboten für ihren Tofu umschauen. „Die Szenen, die eine Analyseebene reinbringen, haben wir ein wenig freakig gestaltet“, erzählt Çigir Özyurt, der bei der Entwicklung von „#GentrifiHÄÄ??? #GentriDichSelbst!!!“ beratend zur Seite stand.

Das Stück ist eine Produktion des Jugendtheaterbüros Berlin; federführend waren – so sieht es allgemein das Konzept des Jugendtheaterbüros vor – die jungen Darsteller_innen. Das Thema Gentrifizierung drängte sich der Gruppe geradezu auf: Die Spielstätte des Jugendtheaterbüros in Moabit – im Besitz des evangelischen kirchlichen Verwaltungsamtes – sollte zwischenzeitlich abgerissen werden, um Luxuswohnungen Platz zu machen. Nach Protesten sind die Pläne wieder vom Tisch, im nächsten Jahr soll es mit dem Theater X eine professionelle Bühne mit regulärem Spielbetrieb geben.

Die Jugendlichen erleben aber auch ganz direkt die städtischen Veränderungen. Im Stück „GentrifiHÄÄ?“ erkunden sie, auf welche Weise sich das in ihrem Leben auswirkt, was sich so abstrakt Gentrifizierung nennt. Büsra Atmaca beispielsweise musste nach einer Mieterhöhung mit ihrer Familie von Kreuzberg in den Wedding ziehen. Von ihren Freund_innen war sie dadurch gut 60 Fahrminuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt. Zurück nach Kreuzberg konnte die Familie nur deshalb ziehen, weil sie sich nun zu fünft eine 2-Zimmer-Wohnung teilen.

In der Inszenierung illustrieren die Jugendlichen diese Veränderungen performativ: Die Alteingesessenen und die Zugezogenen bewegen sich zwar im selben Bühnenraum, haben aber keinerlei Berührungspunkte. Nach und nach verschwinden bekannte Gesichter; wer stattdessen in den Kiez zieht, bewegt sich anders, kleidet sich anders, sitzt am Laptop und trinkt Cappuccino mit einem Schuss brasilianischer Sahne. Wer ist schuld an dieser Situation? Die Yuppies, die zahlenmäßig immer mehr werden, während zeitgleich überall Bioläden wachsen?

GentrifiHÄÄ? feiert am heutigen Freitag um 12 Uhr Premiere beim Festiwalla, das ebenfalls vom Jugendtheaterbüro ausgerichtet wird. Zum vierten Mal findet das Festival statt, in diesem Jahr widmet es sich unter dem Motto „No Justice – no Peace!“ dem Thema Krieg und Gewalt. Im Gedenkjahr zum Beginn des Ersten Weltkrieges, so heißt es im Programmheft, werde Krieg als etwas Vergangenes verhandelt. Dabei brenne es hier und heute überall, und Festiwalla hat sich vorgenommen, das zu thematisieren.

Das Festival bedient sich einer sehr breiten Definition von Krieg und Gewalt, und das zeigt sich auch in den Stücken: Sie handeln von Fluchtgeschichten nach Europa, von Drohnenkriegen und städtischen Gefahrengebieten, sie beschäftigen sich mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von postmigrantischen Mädchen und jungen Frauen oder mit Bundeswehrbesuchen in Schulen. Jugendtheatergruppen aus dem ganzen Bundesgebiet kommen für vier Tage im Haus der Kulturen der Welt zusammen, zeigen ihre Stücke, tauschen sich in Workshops und Diskussionen aus und veranstalten gemeinsame Konzerte und Aktionen. Die Workshops sind thematisch mit den Stücken verbunden, sie beleuchten die Problemfelder aus unterschiedlichen Perspektiven, und sie sollen außerdem dazu dienen, Möglichkeiten des Widerstands zu entwickeln.

Formen des Widerstands klingen auch in dem Stück „GentrifiHÄÄ?“ an. Während der Stückentwicklung traf sich die Gruppe mit dem Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“, das ihnen ihre Perspektive auf die Aufwertungsprozesse erklärte. Im Verlauf des Stücks beginnen die Figuren zu begreifen, dass nicht allein die Yuppies schuld an den Entwicklungen sind, sondern Profitinteressen die Grundlage für Gentrifizierung bilden.

Somit gibt die Inszenierung auch einen Lernprozess der Gruppe wieder: Die Yuppies, die sich sukzessive in Neukölln ausbreiten, werden die nächsten sein, die sich die Mieten nicht mehr leisten können. Soll Gentrizilla also wirklich wirkungsvoll bekämpft werden, dann muss der Power Ranger Solidarität aktiv werden, trotz aller Differenzen.

■ Festiwalla, noch bis Samstag im Haus der Kulturen der Welt. Programm unter www.hkw.de Rezension SEITE 24