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Archiv-Artikel

Es spricht der Schüler

Auf der Internetseite „Spickmich“ können Schüler ihre Lehrer bewerten. Nachdem ein Lehrer aus Niedersachsen dort einen „Hass-Club“ entdeckt hat, diskutieren Ministerium, Berufsverband und Betreiber über die Grenzen der Meinungsfreiheit

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Wo der Philologenverband Niedersachsen den „Einstieg ins Mobbing“ und möglicherweise rechtlichen Handlungsbedarf sieht, gibt sich das Kultusministerium gelassen: Der Internetseite „Spickmich“, auf der Schüler ihre Lehrer benoten können, sei schließlich gerade von Gerichts wegen bestätigt worden, dass dies Teil der freien Meinungsäußerung ist.

Anlass für die Auseinandersetzung war die Entdeckung des Kunstlehrers Michael Rahte, dass eine Gruppe von vier SchülerInnen ein Hass-Forum gegen eine Kollegin auf der Internetseite gegründet hatte. Die Schüler haben das Forum nach einem Gespräch mit der Schulleitung gesperrt. Rahte, der an der Carl-Friedrich-Gauß-Schule in Hemmingen bei Hannover lehrt, beförderte nach seiner Entdeckung fünf Kollegen und sich selbst auf der Bewertungsskala von „Spickmich“ nach oben. Damit habe er das Benotungssystem „lächerlich“ machen wollen, dem er jede Aussagefähigkeit abspricht.

Die Internetseite, die seit März dieses Jahres existiert und von vier Kölner Studenten kostenlos betrieben wird, gibt unter anderem die Kriterien „sexy“, „cool und witzig“ sowie „leichte Prüfungen“, aber auch „motiviert“ und „guter Unterricht“ vor.

Bei der Kategorie „sexy“ gehe es um das äußere Erscheinungsbild, was auch in einem Erklärfenster dargestellt werde, so verteidigt Bernd Dicks, einer der Betreiber der Seite, die Bewertungskategorie. „Und vor allem zählt die Kategorie „sexy“ nur fünf Prozent, während „motiviert“ 25 Prozent ausmacht. Außerdem sollen die Kategorien nach deutlicher Kritik der nordrhein-westfälischen Bildungsministerin, die sie als diffamierend bezeichnete, überarbeitet werden. „Aber sie sollen nicht zahmer werden“, betont Dicks. Schließlich hätten die Schüler über die Bewertung endlich die Möglichkeit, ihren Lehrern angstfrei eine Rückmeldung zu geben.

Michael Rahte sieht das kritisch: Er hat auf der Seite eine Überschrift „Lehrer erschießen, vergasen“ gefunden, die nach Medienberichten jedoch am nächsten Tag verschwunden gewesen sei. „Das geht in Richtung geistige Brandstiftung“, findet er. Ähnlicher Ansicht ist der niedersächsische Philologenverband. „Ich erwarte klarere Worte vom niedersächsischen Kultusministerium“, sagt dessen Geschäftsführer Roland Nessler. „Ich verwahre mich nicht dagegen, dass Schüler ihre Lehrer kritisch betrachten. Aber dort, wo das Schulgesetz durch Diffamierung und Verleumdung von Lehrern verletzt wird, wünsche ich mir eine klare Stellungnahme.“

Kultusminister Busemann (CDU) hatte gesagt, dass die Schulen in Niedersachsen „mit unseren Präventionserlassen ein geeignetes Instrumentarium haben, um dagegen vorzugehen“. Sein Sprecher Georg Weßling verwies auf das Urteil des Landgerichts Köln, wonach LehrerInnen Personen des öffentlichen Interesses seien und daher auch in einem gewissen Umfang Gegenstand öffentlicher Kritik. Eine Nachfrage bei der Schulbehörde habe ergeben, dass man dort keinen Anstieg von Klagen über Mobbing registriere.

Dem widerspricht Roland Nessler vom Philologenverband. Angesichts der Scheu von Lehrern, öffentlich über Mobbing zu sprechen, sei es nicht verwunderlich, dass die Schulbehörde keine Kenntnis davon habe. Beim Philologenverband seien die Klagen jedoch „zahlenmäßig und im Grad“ gestiegen. Vier Lehrern gewähre der Verband wegen der „Spickmich“-Seite bereits Rechtsschutz, zudem gebe es mehrere Anfragen.

Angesichts der allgemeinen Debatte ist die Zahl der Nutzer der Seite um 20.000 auf rund 150.000 gestiegen. Dass angesichts dieser Zahlen keine umfassende Kontrolle möglich ist, räumen auch die Betreiber ein. Zwar gebe es bei den Bewertungen eingebaute Sicherungsmaßnahmen gegen so genannte „Frust-Wertungen“, doch die Clubs, in denen sich mehrere SchülerInnen zum virtuellen Austausch treffen, lassen sich von den Betreibern nicht kontrollieren. Dicks zufolge übernehmen das die Benutzer selbst: Diese meldeten Beleidigungen und Diffamierungen. „Wir sind selbst erstaunt, wie gut die Kontrolle durch die Schüler funktioniert“, sagt Dicks.