: „Endlich mit der PKK reden“
„Die Bundesregierung nimmt zu viele Rücksichten auf die Sensibilitäten der Türkei“, sagt die Sprecherin des Kurdischen Nationalkongresses
■ ist die Vorsitzende der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Kurdischen Nationalkongresses (KNK). Im KNK sind mehr als 50 kurdische Parteien und Institutionen organisiert.
INTERVIEW CHRISTIAN JAKOB
taz: Frau Karabulut, viele sagen, der Westen habe sich in Kobani durch sein Nichtstun schuldig gemacht. Sie sehen das anders?
Songül Karabulut: Der Westen hat tatsächlich zu lange zugesehen und dann unwillig Stellung bezogen. Die Koalition unter Führung der USA bombte aus der Luft, das war nötig und hilfreich. Eine militärische Intervention lehnen wir Kurden aber ab. Wir möchten nur, dass diejenigen, die Selbstverteidigung leisten, unterstützt werden. Deswegen fordern wir einen Korridor nach Rojava aus der Türkei.
Ende Oktober hat die Türkei doch schon irakische Peschmerga-Kämpfer nach Kobani gelassen.
Es gab nur einzelne, isolierte Durchgänge. Wir fordern einen festen Korridor. Der Winter steht bevor. Es ist unverzichtbar, dass Hilfsgüter und freiwillige Kämpfer aus Richtung Türkei nach Rojava gelangen können.
Was spräche gegen eine UN-Mission?
Die würden wir nicht ablehnen. Wir sind grundsätzlich aber der Meinung, dass militärische Interventionen den Konflikt vertiefen würden.
Deutschland hat im Irak Waffen an die Kurden geliefert, das wäre vor Kurzem undenkbar gewesen. Sind Sie zufrieden mit Berlin?
Nein. Wir wünschen uns eine grundlegende Änderung der Kurdenpolitik. Deutschland sollte die Vertreter Rojavas endlich als Gesprächspartner anerkennen und diplomatische Beziehungen zu ihnen aufnehmen. Nicht als Staat – Nordirak ist ja auch kein Staat –, sondern als legitimer Teil Syriens. Die USA tun dies auch. Deutschland nimmt hier zu viel Rücksicht auf die Sensibilitäten der Türkei.
Um Rojava aufzubauen, haben die syrischen Kurden sich nicht am Kampf gegen Assad beteiligt. Haben sie damit den Aufstieg des IS begünstigt?
Nein. Die Opposition war nicht bereit, die Interessen und Rechte der Kurden zu akzeptieren. Deshalb gab es keine Zusammenarbeit. Gleichzeitig haben die Kurden mit dem Aufbau Rojavas den Einfluss Assads geschwächt. Rojava war ihre Form des Widerstands gegen das Regime: ein säkulares, multiethnisches Gemeinwesen jenseits staatlicher Grenzen in einer Region voller ethnisch-religiöser Konflikte.
Sie sagten kürzlich: „Ohne Öcalan werden die Kurden nicht frei sein.“ Ist es nicht an der Zeit, endlich auf den Führerkult zu verzichten?
Eine Annäherung an Öcalan ist eine Annäherung an die Kurden. Es ist inakzeptabel, den Kurden zu sagen: „Wir akzeptieren euch, aber euren Anführer lehnen wir ab.“ Die Forderung zeigt die westliche Überheblichkeit. Sie wollen den Kurden vorschreiben, welchen Führer sie sich wählen sollen. Öcalan hat das kurdische Volk vor der Vernichtung bewahrt und es zu einer ernstzunehmenden Kraft werden lassen. Die Kurden sehen keinen Grund, ihm den Rücken zu kehren.
Die PKK ist nun von der geächteten Terrororganisation zum anerkannten politischen Faktor aufgestiegen. Wie gehen Sie damit um?
Die Kurden sind ein Stabilitäts- und Demokratiefaktor. Die Welt sieht die Lage in Rojava und der von vielen Jesiden bewohnten und vom IS bedrohten Stadt Sindschar; und sie sieht, welche Rolle die PKK in der Region spielt. Die öffentliche Meinung über die PKK kann nicht mehr so leicht manipuliert werden. Wir fordern deshalb politische Beteiligung.
Seit 2013 gibt es Friedensverhandlungen mit Ankara, jetzt droht die PKK Erdogan wieder mit einem „Verteidigungskrieg“. Warum?
Nicht die PKK bedroht den Friedensprozess, sondern die antikurdische Politik der Türkei. Während die AKP-Regierung mit Abdullah Öcalan seit Ende 2012 Friedensgespräche führt, kämpft sie auf der anderen Seite gegen die Kurden in Rojava und unterstützt den IS.
Die Türkei hat sich im September das Mandat für einen Einmarsch in Syrien gegeben, doch nichts passierte.
Die Türkei wollte eine Pufferzone auf syrischer Seite einrichten und damit Rojava unter ihre Kontrolle bringen. Das ist bislang nicht geschehen. Sollte der Friedensprozess scheitern, könnte sich das aber ändern.
Ist Erdogan nicht im Vergleich zu seinen Vorgängern konstruktiv an die Kurdenfrage herangegangen?
Keine andere Regierung hatte so viele Möglichkeiten zur Beilegung der Kurdenfrage wie die AKP. Sie ist seit 12 Jahren einzige Regierungspartei, die meisten Vorgänger waren Koalitionsregierungen. Und es gab in ihrer Zeit einen sehr langen einseitigen Waffenstillstand der PKK. Gemessen daran ist sehr wenig geschehen. Ja, es gab kleine Reformen wie die Aufhebung des Verbots der kurdischen Buchstaben Q, X und W. Unter der AKP werden Probleme der Türkei zwar angesprochen, doch umgesetzt wird meist nur das, was dem AKP-Projekt dient. Auch der islamische türkische Nationalismus will die Kurden assimilieren.
In Deutschland wird über eine Aufhebung des PKK-Verbots diskutiert. Da würde helfen, wenn sich die PKK öffentlich mit ihrer eigenen militanten Vergangenheit auseinandersetzt. Warum tut sie das nicht?
Die PKK hat gezeigt, dass sie eine Bewegung ist, die radikale Veränderungen vornehmen und Fehler eingestehen kann. Anfang des letzten Jahrzehnts hat sie ihre Paradigmen geändert. Das wird einfach ignoriert. Dafür werden bestimmte andere Ereignisse aus dem Zusammenhang gerissen. Zwar kam es in den neunziger Jahren in Deutschland auch zu unerwünschten Vorfällen …
… wie Dutzenden Anschlägen auf türkische Geschäfte …
… doch damals führte die Türkei in Kurdistan einen totalen Krieg gegen das kurdische Volk – mit Hilfe und Duldung Deutschlands. Es kann nicht erwartet werden, dass eine einseitige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stattfindet.
Wie lange die Türkei für eine geschichtliche Aufarbeitung brauchen kann, sieht man an der Armenierfrage. Wollen Sie solange warten?
Die Geschichte muss von beiden Seiten im Kontext der Lösung der kurdischen Frage aufgearbeitet werden. Warum wurden die Kurden einst ohne jeglichen Status auf vier Länder aufgeteilt? Welche Firmen waren am Giftgasangriff auf Halabdscha beteiligt? Wer hat geholfen, dass Kurden jahrzehntelang entrechtet wurden? Auch Deutschland sollte für seine Politik geradestehen. Wir erwarten, dass die Bundesregierung den Tabubruch begeht und endlich mit der PKK spricht.