Mutter Erde als Behälter

Dann haben sie ihren Abfall einfach im australischen Outback verbuddelt: Nicolas Kerksieck und Pinar Mayaoglu machen aus einem Entsorgungsproblem ökologisch nicht ganz einwandfreie Kunst

VON KITO NEDO

Wenn man das Künstlerpaar Nicolas Kerksieck (30) und Pinar Mayaoglu (28) an ihrem derzeitigen Wohn- und Arbeitsort Kladow tief im alten Westberlin besucht, wird man durch ein zweistöckiges Sommerhaus hindurch auf eine winzige Gartenterrasse geleitet. Der Blick schweift über allerlei sympathisch-locker angelegtes Grün und stolpert dann ganz unvermittelt über einen Haufen leerer Joghurt-Becher, zerknüllter Orangensaft-Tetrapaks und Styroporschalen, die sich direkt neben einer gleichmäßig ausgehobenen Grube auf dem Rasen des ansonsten adrett-pittoresken Grundstücks befinden. In den nächsten Tagen, so erklären die beiden sehr entschlossen, werde man diesen Müll im Boden verschwinden lassen und mit einer Schicht Erde bedecken. „Eigentlich finde ich es nicht gut, wenn Gras darüber wächst“ sagt Kerksieck, dem es lieber wäre, man könnte die Stelle, an dem die beiden ihren Unrat vergraben haben, auch später noch erkennen. Andererseits möchte man es sich nicht mit der lieben Verwandtschaft verscherzen, die den beiden, die erst im Frühjahr von einem achtmonatigen Arbeits- und Reiseaufenthalt in Australien zurückkehrten, das Haus und den Garten am Rande von Berlin für die Dauer eines Sommers überlassen hat.

Für diese Art von künstlerischer Intervention, die sich auf dem eigenen Grundstück abspielt, vermuten die jungen Künstler – wahrscheinlich zu Recht – wenig Verständnis. Theoretisch jedenfalls würde die Fläche des Gartens ausreichen, um hier mindestens fünfzehn Jahre lang seinen eigenen Müll selbst vergraben zu können, überschlägt Kerksieck, der bis letztes Jahr Bildhauerei und neue Medien bei Tony Cragg an der Berliner Universität der Künste (UdK) studierte, grob die Lage. Vorausgesetzt, das Müllvolumen, das sich nach zwei bis drei Wochen Kladow-Leben angesammelt hat, beträgt ungefähr 100 Liter. Doch die Versenkung des Plastik-, Glas- und Styroporabfalls soll zumindest hier eine einmalige Sache bleiben, beeilen sich Kerksieck und Mayaoglu zu versichern – allein das Gedankenspiel, das sei schon mal viel wert.

Denn eigentlich sollte jeder einmal eigenhändig seinen Müll vergraben, finden die beiden. Dies sei notwendig, um sich wirklich ernsthaft mit dem eigenen Konsum und der damit verbundenen Abfallproduktion zu beschäftigen, erklärt Mayaoglu den Appell zur Müllvergrabung: „Wenn man in der Stadt lebt, sieht man den Müll nicht. Es fällt nicht schwer, darüber zu diskutieren, wenn der Müll einfach in der Tonne verschwindet.“ Den Abfall jedoch selbst in die Hand zu nehmen und ihn eigenhändig in seinem Vorgarten oder einem ähnlich geschätzten Stückchen Erde zu vergraben, bringe eine neue Qualität in die großen Diskussionen um Umweltverschmutzung und den Klimawandel, die spätestens seit dem G-8-Gipfel auch in Deutschland entbrannt sind und oft heuchlerische Züge tragen. Als Aufruf zur Umweltschändung will das Duo ihre Aktion also nicht verstanden wissen: Es sei schon klar, dass wohl niemand wirklich losgehen und es ihnen gleichtun würde.

Auf die Idee mit dem Müllding kamen Kerksieck und Mayaoglu bei der gemeinsamen Australienreise vor ein paar Monaten. Als sie während einer mehrtägigen Tour im ausgetrockneten Outback Südaustraliens versuchten, ihren Abfall loszuwerden, verlegten sie sich nach zähen Diskussionen auf das Vergraben als einzig praktikable Lösung. „Eine Mülltonne gibt es ja dort draußen nicht“, erinnert sich Kerksieck an die bizarre Situation, in die die beiden Stadtmenschen inmitten der australischen Einöde bei brummender Hitze von 40 Grad Celsius gerieten. Die schmerzhafte Notwendigkeit der Abfallentsorgung verband sich so mit einer künstlerischen Handlung. Unter dem Titel „Mutter Erde als Behälter“ versündigten sie sich bewusst an der Umwelt und fällten zudem ein paar ausgetrocknete Bäume, die anschließend fein säuberlich zerhackt wurden. Dokumentiert wurde das Ganze mit der Kamera – die Diaprojektion ist derzeit neben anderen Arbeiten in einer Atelierausstellung in der UdK zu besichtigen.

Der ästhetische Wert solch eines Affronts gegen alle guten Sozial- und Ökositten gerät dabei allerdings schnell in den Hintergrund: „Die runde Narbe der Umgrabung verweist auf die schwer verrottbare Einlage, kennzeichnet den Behälter in Mutter Erde und hinterlässt unsere menschliche Spur in der Landschaft – unauffällig, sublim, aber vielleicht doch beständig für die nächsten hundert oder gar tausend Jahre“, heißt es in einem Text zur Aktion, die den beiden Urhebern sicherlich noch eine Menge Diskussionen bescheren wird. Denn unzweifelhaft haben sie mit „Mutter Erde als Behälter“ eins der abstoßendsten Werke der „Environmental Art“ geschaffen. Vielleicht gehen sie sogar irgendwann noch einmal zurück und graben den dort versenkten Müll eigenhändig wieder aus. Ob die Arbeit bis dahin einen Beitrag zur Klimadebatte geleistet hat, wird die Zukunft zeigen.

Arbeiten von Kerksieck und Mayaoglu sind bis zum 22. Juli in der Universität der Künste (UdK) zu sehen: Mo.–Sa. 14 bis 19 Uhr. Zweites Quergebäude, Raum 94, Hardenbergstr. 33