Ein Lehrer verschwindet

Schulen in Niedersachsen ist freigestellt, wie sie damit umgehen, wenn gegen Pädagogen Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eröffnet werden. In Bramsche hat man sich fürs Schweigen entschieden

Ein 56-Jähriger Lehrer ist jüngst vom Amtsgericht Hamburg für den Besitz und die Verbreitung von Kinderpornos zu 28 Monaten Haft verurteilt worden. Damit ging die Richterin über das Votum der Staatsanwältin hinaus, die für eine zweijährige Bewährungsstrafe plädiert hatte. Die Polizei hatte 2005 bei dem dreifachen Vater 4.000 Fotos und 25 Stunden Videos vom Missbrauch von Kindern ab dem Säuglingsalter auf dem Computer gefunden. Im Prozess beharrte er zunächst auf der Version, diese seien unerwünschte Anhänge anderen Dateien gewesen – bis er gestand, wegen seiner zerrütteten Ehe getrunken zu haben. Abends zog er sich in den Keller zurück und lud die Fotos aus dem Internet. „Sie haben aus einem Sumpf aus Alkohol und Pornos gelebt“, so die Richterin. „Sie haben sich an dem körperlichen Leid der Kinder aufgegeilt“. Das Geständnis habe mit „ehrlich empfundener Reue“ nichts zu tun. KVA

aus Bramsche BENNO SCHIRRMEISTER

Zurückgelehnt auf dem Stuhl sitzt Herr H. und hört zu, wie sein gesellschaftlicher Tod Gestalt annimmt. Er ereignet sich im Amtsgericht Bersenbrück. Das ist ein hübscher Bau, Teil der Klosteranlage, der Friedhof liegt nebenan und der Saal ist weißgekälkt.

Herr H. ist 57 Jahre alt, Lehrer, und sein gesellschaftlicher Tod hat die Gestalt einer stockend vorgetragenen Übersetzung von Chat-Protokollen. Immer wieder weist der Dolmetscher darauf hin, dass der Kürzelslang elektronischer Tauschbörsen wenig mit der Sprache Shakespeares gemein hat, „ich verkehre in solchen Kreisen nicht“, und dass er nur mutmaßen könne: „Hier steht 141“, das könne „auf one for one hinauslaufen“, also „eins für eins“. Wozu passt, dass das Protokoll dann festhält, der Benutzer, der sich AAROS nennt, schicke „ein Bild“, dann sein Gegenüber. „Je jünger desto besser“, heizen sich die Chatpartner an. Die Bilder, das ist dem Text zu entnehmen, sind pornografischen Inhalts, und einmal bekennt AAROS, beim Sex mit der Gemahlin an seine students zu denken. „Students“, sagt der Übersetzer „kann Studenten oder Schüler heißen, das ist dasselbe Wort.“ AAROS ist laut Bundeskriminalamt eindeutig der Herr H.

Der sitzt da, meist ruhen die Hände reglos im Schoß. Sein Verteidiger protestiert gegen die Zulassung der Protokolle. Sonst: Keine Stellungnahme. Nur ein, zwei Zuschauer sind gekommen. Aber die Nachricht wird gut 20 Kilometer weiter südlich ankommen, in Bramsche, wo Herr H. wohnt. Klar, nette Geste, dass sie bei den Bramscher Nachrichten die Berichte gänzlich anonymisieren. Aber was hilft’s? Herr H. ist bekannt im Ort. Schließlich hat er auch für den Lebensretter-Verein in vorderster Front gestanden, war im Vorstand des Landesverbandes. Dort gibt man sich erstaunt über den Prozess gegen den Ex-Funktionär: „Darüber“, sagt Geschäftsführer Kurt Meyer-Bergmann, „war uns nichts bekannt.“ Das werde man nicht übergehen: „Schließlich sind bei uns fast 50.000 Kinder und Jugendliche Mitglied“. Aber in Bramsche, da ahnt es jeder: Der Lehrer, bei dem die Staatsanwaltschaft die Bilder auf dem Rechner gefunden hat, das war der Herr H.: Mittwoch beginnen die Ferien an der Realschule – Herr H. ist seit Januar nicht da gewesen. Er sei „krank“, habe das Rektorat erzählt, sagen Schüler, „und gleichzeitig, dass er nicht wiederkommt“. Das hätten sie merkwürdig gefunden.

Es habe „keinen Gesprächsbedarf“ gegeben, lässt das Rektorat per Landesschulbehörde ausrichten: Eine Lehrerkonferenz hat es nicht gegeben. „Erst nach der Berichterstattung“ sei „ein einziger Elternanruf“ gekommen. „Ich habe es selbst nicht glauben können“, sagt Behörden-Sprecherin Susanne Strätz. Eine Statistik über Lehrer, gegen die wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ermittelt wird, gibt es nicht. Es seien in den vergangenen Jahren „im ganzen Land nur eine Handvoll Verfahren“ gewesen. Zwei Prozesse laufen derzeit in Niedersachsen. Die Fälle müssen gemeldet werden. Wie die Schulen weiter vorgehen, steht ihnen frei: „Wir haben ein Kriseninterventions-Team“, so Strätz, „das kann angefordert werden.“ In Bramsche ist das nicht geschehen. „Es interessiert niemanden“, vermutet Strätz. Der Vorsitzende des Schulelternrats will „keine Stellungnahme abgeben“, und verweist dabei darauf, dass er „hier zwei Zeugen sitzen“ habe. „Nette Leute, eine Atmosphäre zum Wohlfühlen und eine spannende Stadtgeschichte“, wirbt Bramsche für sich im Internet.

Manche haben Herrn H. nie gemocht. Andere sagen, „der war eigentlich in Ordnung“. Ein paar Schüler haben nachgefragt, im Unterricht, was denn nun sei, mit dem Herrn H.. Nicht alle Lehrer haben geschwiegen. „Die Mädchen“, sagen die Jungs aus der Mittelstufe, die hätten das „komisch gefunden: ‚Iiih, und bei dem hatte ich schwimmen‘“, das sei so die Reaktion gewesen. Dabei, so stellt die Staatsanwaltschaft klar, habe es keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass Herr H. übergriffig geworden sei. „Da war nichts in der Schule.“

Je kleiner die Nachrichtendosis, desto besser gedeihen Gerüchte: Was sie denn so über H. erfahren hätten? Die Schüler glauben: „Der soll Kinderpornos gedreht haben“. Nein, das ist falsch. Besessen und verbreitet, so lautet der Vorwurf. Nichts mehr, aber auch nichts weniger. Die Indizien sind stark. Am Mittwoch bekommen die SchülerInnen ihre Zeugnisse. Herr H. erhält sein Urteil wohl Montag.