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Archiv-Artikel

Das ist teuer und sieht scheiße aus

SCHOKOLADEN Am Montagmorgen um sechs spielten Budyet im Schokoladen. Das Kulturhaus fordert eine Ausnahmeregelung im Immissionsschutzgesetz für Geräusche, die von Musikinstrumenten verursacht werden

Nicht nur bei Kleidung, auch am Bau / Muss man sich manchmal fragen / Wer hat denn diesen Scheiß bestellt / Wen kann man da verklagen?

VON ULRICH GUTMAIR

Pünktliche Punks, wenn das mal nichts Neues ist. Es ist Montagmorgen kurz nach sechs. Die Ackerstraße liegt ruhig da, die Sonne wirft güldnes Licht auf ihre Dächer. Die Aggro-Bürger in ihren Jeeps und 7er-BMWs, die tagsüber Fußgänger und Fahrradfahrer an Leib und Leben bedrohen, sind wohl noch nicht wach.

Der bärtige Sänger von Budyet dagegen steht mit seinen drei Kollegen schon auf der Bühne. Er hat Badelatschen und kurze rote Hosen an und er singt: „Kein Lärm, kein Schmutz / Das bleibt hier jetzt ungenutzt / Mein Hof, mein Haus / Ich schmeiß euch alle raus / Ihr wohnt, ich kauf / Der Diskussionsverlauf“. Budyet spielen die Songs ihres gleichnamigen Albums, darunter Perlen wie diese. Das Lied heißt „Investorendisko“.

Der Schokoladen ist voll, die Stimmung super. Unter den 19 kleinen und großen Diskokugeln tummeln sich an diesem Morgen viele Punks, was wohl an der Band auf der Bühne liegt. Die meisten der Anwesenden sind noch von gestern da. Das erkennt man daran, dass sie frisch geöffnete Flaschen Bier der Marke Sternburg in den Händen halten. Ein paar Leute sind aber doch extra früh aufgestanden, weil es hier und heute ums Prinzip geht, wie Robert später sagen wird. Robert ist der Gitarrist von Budyet. Außerdem ist er als Tontechniker im Schokoladen tätig. Budyet spielen einen groovigen, locker vor sich hinrollenden Punk und sind gewissermaßen die Hausband vom Schokoladen. Sie proben im Haus, ihr Album haben sie ebenfalls hier aufgenommen. Außer ihnen sollen Reactory spielen. Deren Drummer aber hat sich tags zuvor den Daumen gebrochen. Er hat es probiert, mit der Schiene so gegen fünf am Morgen, aber es ging nicht.

Die Nachtruhe ist vorbei

Um sechs ist die Zeit der Nachtruhe vorbei. Vor der Tür ist es trotzdem nicht laut. Sie legen es nicht auf Konfrontation an im Schokoladen. Der Mann an der Kasse (es wird an diesem Morgen nur um eine Spende gebeten) sorgt dafür, dass die Leute zügig rein- und rausgehen. Dass die Türe schön zu bleibt. Immer schon haben sie sich eine Selbstbeschränkung auferlegt, um die Anwohner nicht zu nerven. Pünktlich um 12 Uhr nachts war seit jeher Schluss mit Livekonzerten. Es hat nichts genützt. Obwohl viele Leute in der Straße das Haus, den Schokoladen und auch den benachbarten Club der polnischen Versager gut finden, und mancher gern mal auf ein Bier vorbeischaut, ist es seit gut drei Monaten vorbei mit der zwanzig Jahre alten Tradition. Wegen dauernder Beschwerden einzelner Anwohner müssen die Konzerte nun schon um acht anfangen, um zehn sind sie zu Ende.

Oft kam die Polizei vorbei, sogar am Mittwoch bei der Lesebühne, erzählt Rob, der zehn Stunden Arbeit an der Bar vom Schokoladen hinter sich hat. Oft stellte sich dann raus, dass der Verkehrslärm der Torstraße lauter war als der Betrieb im Laden, sagt er. Rob mag den Schokoladen wegen seines vielfältigen Publikums und der entspannten Stimmung. Auch die Touristen fühlten sich wohl. Hier ist für alle Platz, sagt er. Man glaubt es ihm aufs Wort.

Musik ist sozialadäquat

Damit auch in Zukunft alle ihren Spaß im Kulturhaus haben können, fordern sie jetzt eine Änderung des berlinischen Landesimmissionsschutzgesetzes. In Wohngebieten im Innenstadtring solle für musikalische Darbietungen eine Ausnahmeregelung zwischen 22 und 24 Uhr geschaffen werden: „Wir fordern die Anerkennung der Nutzung von Tonabspielgeräten und Musikinstrumenten als Ausdruck der menschlichen Entfaltung und Gemeinschaftsbildung und damit als grundsätzlich sozialadäquat und zumutbar!“

Diese Petition ist die Antwort auf die Beschwerden derer, die mitten in die Innenstadt ziehen, dort aber – bitte sehr – keinesfalls von irgendwem gestört werden wollen. Und sie ist der Anlass des Konzerts. Im Grunde geht es aber um viel mehr. Budyet stellen das Problem mit der gebotenen Präzision dar, wenn sie das neue Berlin besingen. „Das war teuer und sieht scheiße aus!“, brüllt Sänger Jo. Und man kann sich vorstellen, wen und was er auf den Straßen von Mitte meint. Sodann führt er die Sache näher aus: „Nicht nur bei Kleidung, auch am Bau / Muss man sich manchmal fragen / Wer hat denn diesen Scheiß bestellt / Wen kann man da verklagen?“ Draußen hat es geregnet. Auf der Ackerstraße geht alles seinen Gang.