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Archiv-Artikel

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Reformierte Bibliothek

Die Staatsbibliothek West – eine Legende: Heimstatt der Engel über Berlin, Flaniermeile der schicksten Studentinnen, sicherer Aufbewahrungsort für die durchgeknalltesten Wissenschaftler. Aber auch hier hält die neoreformierte neue Zeit unerbittlich Einzug. Zunächst begann es ganz harmlos. „Aufgrund der steigenden Belastung des Einlasspersonals möchten wir unsere Benutzer bitten, in Zukunft den Ausweis vorzuzeigen.“

Einige Monate später dann: „Aufgrund der steigenden Belastung des Magazinpersonals möchten wir unsere Benutzer bitten, ihre Bücher selbst aus dem Magazin zu holen.“ Die Nachwuchswissenschaft, solidarisch und an Selbstausbeutung gewohnt, hat das im Umlaufverfahren organisiert – lief gut, nur einige Historiker lasen sich immer wieder fest. Schließlich verkündete die Leiterin der Benutzungsabteilung: „Aufgrund der steigenden Kosten für die Bauarbeiten werden die ständigen Benutzer zur Mithilfe aufgefordert. Treffpunkt 14.00 Uhr an der Bonhoeffer-Büste, Gummistiefel, Arbeitskleidung und Atemschutzmaske sind mitzubringen.“

Zahlreiche körperlich nicht so belastbare Leser beschwerten sich und durften daraufhin alternativ die täglichen Reinigungsaufgaben übernehmen. Die Skrupellosesten dienten sich als Wachleute an, sie stehen jetzt dumm herum und werfen die raus, die mobiltelefonieren. Manchem langjährigen Büchereibesucher haben diese Maßnahmen zu völlig neuen Perspektiven verholfen. J. hat die Dissertation an den Nagel gehängt und ist im Baugewerbe geblieben, G. leitet erfolgreich ein Reinigungsunternehmen. Die anderen übernehmen zum Herbst die Bibliothek in Eigenregie. CARSTEN WÜRMANN