Knallrotes Gummiboot

Von militärischem Schwimmen und dem Leben am Strand einst und jetzt: Die Ausstellung „Berlin geht baden“ im Ephraim-Palais gibt einen facettenreichen Überblick über die Geschichte des Badens

VON DETLEF KUHLBRODT

Das Nikolaiviertel ist die reinste Urlaubsidylle. In hellen Kleidern gehen Menschen einkaufen. Ein dunkel angezogener Mann bettelt zurückhaltend. An weißen Plastiktischen an der Spree sitzen halbnackte Engländer und trinken lachend Bier.

Das architektonische Element des Nichtauthentischen, des Nachgemachten, die vielen zwischen 1979 und 1987 rekonstruierten Häuser aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert, die ursprünglich woanders standen, sorgen für ein idyllisches Gefühl in der „Wiege Berlins“.

Im Ephraim-Palais ist es angenehm kühl. In der Eingangshalle steht ein Strandkorb mit Prospekten, die für die Insel Usedom werben. Strandkörbe sind eine deutsche Erfindung. Für den G-8-Gipfel war einer entwickelt worden, in dem alle G-8-Staats- und Regierungschefs Platz fanden für sieben teils neckische Fotos. Danach hatte der größte Strandkorb der Welt aufgedient.

Ansonsten wird im Erdgeschoss die Geschichte der Badekleidung zusammengefasst und ausgestellt: Es gibt also zeitgenössische Starkollektionen; Badeanzüge, die Kylie Minogue oder die Moderatorin Sonya Kraus vorgeben gemacht zu haben, die teils mit Solarzellen ausgerüstet sind, an die man strandtypische Geräte wie iPods, Handys oder Rasenmäher anschließen kann. Man erfährt auch, dass es der Universität Bonn 2006 gelungen ist, Badestoffe zu entwickeln, die nicht nass werden können und dass selbst gehäkelte Bikinis im Trend liegen. Daneben alte Modelle aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, die einerseits sehr elegant an Marcel Proust und andere Beach-Life-Autoren erinnern, andererseits auch ein bisschen bäuerlich wirken. Besonders schön sind die Badehauben aus Gummi und Igelit.

Der Name dieses Weich-PVCs, Mischpolymerisats mit zum Beispiel 20 Prozent Acrylsäureester bei 80 Prozent Vinylchlorid hat nichts mit unseren stachligen Freunden zu tun, sondern spielt an auf den Inhaber der Namensrechte, die IG-Farben, deren Bitterfelder Werk 1938 mit der Igelit-Produktion begonnen hatte.

Es gibt auch schöne, asiatisierende Sonnenschirme. Seltsam, dass dieses Utensil ausgestorben zu sein scheint.

Im Besucherbuch stehen teils gereimte Kommentare. Zum Beispiel: „Tolle Bademoden finden wir / Dafür sind wir heute hier.“ Aber auch kritische Kommentare älterer Mitbürger, die darauf hinweisen, dass das Wannseebad, das im ersten Stock unter anderem gewürdigt wird, zu teuer für Arbeiterfamilien war. Die seien eher zum Müggelsee gefahren.

Im ersten Stock schaffen raffinierte Stellwände mit Original-S-Bahn-Geräuschen die Illusion, man stände im S-Bahnhof Wannsee. Ein abgebildeter Mensch sieht genauso aus wie ich. Das ist etwas irritierend. An den Wänden hängen alte Ölgemälde mit Berliner Seen und Badelandschaften. Zum Beispiel „Abendstimmung am Schlachtensee“ von Walter Leistikov (1885).

In einem Raum geht es um die Geschichte des Schwimmens, das von der Antike bis ins Mittelalter populär war. Erst im 16. Jahrhundert, im Zuge von Reformation und Pietismus, wird die Badekultur als unanständig empfunden, die Schwimmkunst wird geächtet und gerät in Vergessenheit. Erst mit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts wird sie wieder popularisiert. Der Pädagoge Johann Christoph GutsMuths veröffentlicht 1798 ein Schwimmlehrbuch und erfindet die Schwimmangel. Die Schwimmlehrer Lutze und Tichy eröffnen 1811 am Unterbaum die erste „Schwimmhütte“. Ihre Schwimmsprunggesellschaft „Tichysche Frösche“ gilt als erster Berliner Schwimmverein.

Ab 1817 wird Schwimmen Teil der militärischen Ausbildung, die etwa in der ersten von General Ernst von Pfuel betriebenen Militärschwimmanstalt an der Oberspree, Köpenicker Straße 12, gepflegt wird. Pfuel gilt als Erfinder des Brustschwimmens, das er den Fröschen abgeschaut haben soll. Seine Lehrmethoden sind militärisch. Außerdem wird der Schüler „nach bestandener Fahrtenschwimmprüfung auf den Namen Pfuel getauft und darf fortan Badehosen in roter Farbe tragen“.

Die erste Berliner Badeanstalt gibt es schon 1802 an der Spree, auf der Höhe der alten Nationalgalerie. Das heutige Badeschiff Treptow steht in der Tradition des „Welperschen Badeschiffs“, das 1803 eröffnete. 1905 gibt es in Berlin 15 Flussbadeanstalten, die ab 1909 wegen dreckigen Wassers allmählich wieder geschlossen werden. Dafür entstehen am Havelstrand, am Tegeler See und am Müggelsee Badeanstalten. Gern fuhr man auch an die Ostsee. Vor 100 Jahren galt Usedom als Badewanne Berlins. Weil der Kaiser auch gern dorthin fuhr, galt der Ostseeurlaub als patriotisches Bekenntnis.

So verliert man sich in der Badegeschichte, in alten Postkarten und Bildern wie etwa den „Badenden Knaben“ von Max Liebermann oder einigen Zeichnungen Heinrich Zilles.

Schließlich landet man in einem lichten Sechzigerjahre-Raum, bewundert schöne Sonnenbrillen und hört dazu Wencke Myhres Lied vom knallroten Gummiboot und „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagens Band Automobil. Die Ausstellung ist prima. Tourismustechnisch dürfte es allerdings ein Fehler sein, dass sie ausschließlich auf Deutsch beschriftet ist.

Stadtmuseum im Ephraim-Palais, Di. und Do.–So. 10–18 Uhr, Mi. 12–20 Uhr. Noch bis zum 14. 11.