Uwe Rada über den Klimawandel im Kleinen : Sommer unter der Ausflugsschneise
Ehrlich gesagt, das Wetter hat mich bislang nicht interessiert. Es war, wie es war, und manchmal kam es eben anders. Eigentlich wunderbar, diese metereologische Gelassenheit.
Alles vorbei. Wir sind umgezogen, Pankow, direkt unter der Einflugschneise. Seitdem bin ich Experte der Berliner Wetterlagen. Schon morgens weiß ich, wie das Wetter wird. Oder besser: Ich höre es. Das geht so: Kündigt sich der Flieger mit einem langen Pfeifton an, befindet er sich im Landeanflug auf Tegel. Dann ist es besser, ich dreh mich noch mal um. Westwetterlagen verkünden derzeit nichts Gutes. Entweder sie kommen von Nordwesten und bringen Kälte. Oder sie kommen von Südwesten und bringen Regen.
Ganz anders die Ostwetterlage: Die schaufelt im Sommer kontinentale, also heiße Luft nach Berlin und Brandenburg. Wenn es morgens also nicht pfeift, sondern die Turbinen volle Pulle Richtung Osten wummern, ist es zwar lauter im neuen Domizil, dafür wird aber das Wetter schön. Glauben Sie nicht? Dann gehen sie mal ins Freibad Pankow. Dann sehen Sie die Flugzeuge nach Osten starten. Vorausgesetzt, sie gehen nur ins Freibad, wenn die Sonne scheint.
Nun, da ich diese Zeilen schreibe, ist wieder Sommer in der Stadt. Leider habe ich heute morgen das Hören vergessen und nun bin ich in der Redaktion. Die liegt außerhalb der Einflugschneise. Ich will wissen, ob die Theorie stimmt und rufe zu Hause an. „Ja, heute ist Starttag“, sagt meine Freundin. Inzwischen findet sie „Starttage“ übrigens nicht mehr lauter als „Landetage“. Wahrscheinlich deshalb, weil sie im Januar geboren ist und sich nichts sehnlicher wünscht als Ostwettersonnenlagen.
Ganz anders sieht das meine Kollegin. Die liegt beim Schreiben dieser Zeilen unter der Einflugschneise in ihrem Garten. „Hörst du“, schreit sie ins Handy, „sie starten wieder.“ – „Dann habt ihr schönes Wetter“, tröste ich. „Was hilft das gegen den Lärm“, schimpft sie und rät dringend, „gegen diesen Flughafen anzuschreiben“.
Sie tut mir etwas leid, die Kollegin, schließlich liegt ihre Einflugschneise nicht in Pankow, sondern am Kurt-Schumacher-Platz. Da hört man das Wetter nicht, man wird taub davon. Vor allem bei den Starttagen, die sind da wirklich schlimm.
Während ich darüber nachdenke, ob es eine Solidarität der Einflugschneisenbewohner überhaupt geben kann, blättere ich im Wetterlogbuch und stelle fest: Die meisten Starttage gab es dieses Jahr im April. Richtiges Wüstenwetter war das – klasse!
„Werden die Ostwetterlagen in Zukunft zunehmen“, will ich von Frank Brennecke, Metereologe bei MC-Wetter, wissen. Darüber gebe es keine Statistik, klärt er mich auf. Sein subjektiver Eindruck sei aber, dass die Wetterlagen beständiger werden. „Normalerweise herrscht in gemäßigten Breiten wechselhaftes Wetter“, sagt Brennecke, „nun aber kommt es häufig vor, dass sich eine Wetterlage wie im April festsetzt.“ Blockierungswetterlagen heißt das bei den Wetterfröschen. Ich glaube, ich werde gerne blockiert, vor allem im Sommer, vor allem aus dem Osten.
Die Berliner Flughafengesellschaft konnte ich gestern nicht mehr erreichen. Keiner hat zurückgerufen. Ich hätte die Flughafenleute in Tegel gerne gefragt, wie sich das mit den Starttagen und Landetagen entwickelt hat – statistisch gesehen. Wäre immerhin ein wichtiger Hinweis darauf, ob wir in der neuen Wohnung einen Sonnenschirm für die Terrasse kaufen.
Und noch was hätte ich die Flughafenbetreiber gerne gefragt. Nein, nicht, was die Kollegin meinte, Tegel schließen geht gar nicht, weil ich sonst morgens nicht mehr das Wetter hören würde. Vielmehr hätte ich gerne gewusst, ob es nicht langsam Zeit ist, von einer Ausflugsschneise zu sprechen. Ausflug, Sonne, Osten. Mein neues Hobby gefällt mir. UWE RADA
Der Tipp: Auch im Columbiabad kann man Start- und Landetage beobachten. Zumindest solange der Flughafen Tempelhof noch nicht geschlossen ist. Das Wochenendwetter: Das Tief „Dietmar“ kommt vom Atlantik, das sagt alles