: Der Hoffnungsträger sitzt auf der Bank
Die prominentesten Neuzugänge neben Mohamed Zidan kommen beim HSV aus dem eigenen Lazarett. Erfolgsgarant ist in erster Linie Trainer Huub Stevens. Was die Fans in dieser Saison vor allem brauchen, ist Geduld
Schlechte Vorzeichen für die erste Spielzeit nach dem Blick in den Abgrund. Die ersten Schlagzeilen der neuen Saison lauten nach dem mühsamen Remis in der ersten Runde des UI-Cups bei Dacia Chisinau schon wieder „Blamage“ und „Gegurke“. Auf so viel Geduld seiner Anhängerschaft wie im letzten Jahr darf der HSV wohl nicht mehr zählen. Dabei sind die Voraussetzungen ähnlich ungünstig.
Genau wie vor einem Jahr, als die Champions League-Qualifikation wartete, ist bis kurz vor dem ersten Bundesliga-Spieltag unklar, wo der Hamburger Traditionsclub international mitmischt. Diesmal muss er drei quälende K.o.-Runden im UI-Cup an entlegenen Ecken Europas durchstehen. Egal, ob am Ende das internationale Geschäft blüht oder nicht: an eine nachhaltige Saisonvorbereitung ist so nicht zu denken.
Aber anders als vor Jahresfrist, als der Berg kreisste und einen Sanogo gebar, lautet die große Frage diesmal nicht: Wer kommt noch? Sondern: Wer geht noch? Der Verein möchte von sich aus nur noch Raphael Wicky abgeben. Aber obwohl außer Mohamed Zidan und den Perspektivspielern Kosi Saka und Sebastian Langkamp keine Neuzugänge zu vermelden sind, fürchten Laas, Trochowski und Sanogo so sehr um ihre Stammplätze, dass sie seit Wochen mit Dortmund, Wolfsburg und Bremen oder Stuttgart flirten. Und selbst der Über-Vater der Mannschaft, Rafael van der Vaart, lässt sich nicht zu Aussagen hinreißen, die auch nur entfernt nach Treuebekenntnissen über das kommende Jahr hinaus klingen.
Dabei wird der HSV nur mit der geschlossenen Mannschaftsleistung zum Erfolg kommen, die ihn zu einer der besten Rückrundenmannschaft gemacht haben. Hinter der Leitfigur van der Vaart ist noch niemand zu erkennen, der über den Rest einer soliden Mannschaft herausragt. Viele trauen zwar Mohamed Zidan die Rolle des Shooting-Stars zu, aber den Beweis, sich in einer Klasse-Mannschaft durchzusetzen, ist der 25-jährige Ägypter bislang schuldig geblieben. Seine Meriten sammelte er hauptsächlich als Konterstürmer des Absteigers Mainz 05. Allerdings werden die spielerischen Mittel über den Erfolg entscheiden, und nicht die im Vorfeld hochgezüchtete Frage, ob der bekennende Exzentriker nach der Vaterfigur Klopp auch mit dem Disziplin-Fanatiker Stevens klarkommt.
Denn der größte Hoffnungsträger des HSV sitzt auf dem Trainerstuhl. Brachte seine aggressive Art in der letzten Saison den HSV noch gerade rechtzeitig aus dem Tiefschlaf auf Hochtouren, so zeigt Stevens in der Saisonvorbereitung deutlich mehr Töne zwischen Zuckerbrot und Peitsche. Er scheint jetzt richtig in Hamburg angekommen und heiß auf den Erfolg zu sein. Wie kaum ein anderer Trainer der Liga versteht Stevens es, seine Ziele und Motive auf andere zu übertragen.
Eine Schlüsselrolle werden die Spieler in seinem Konzept einnehmen, die in der letzten Saison fast durchgängig verletzt waren, und daher fast wie Neuzugänge einzustufen sind: Vincent Kompany, Guy Demel und Nigel de Jong. Besonders die beiden Ersteren haben in ihren wenigen Einsätzen eine Klasse aufblitzen lassen, die die Mannschaft aus dem Bundesliga-Durchschnitt herausheben könnte. Aber auch die Meinungsmacher bei Fans und Medien könnten dem HSV helfen, wenn sie beherzigen, was man in den meisten anderen Städten schon gelernt hat: Drei Siege machen noch keinen Meister. Der HSV hat eine leicht überdurchschnittliche Mannschaft auf dem langen Weg an die Spitze. Mehr nicht. Aber das ist doch auch was! RALF LORENZEN