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USA nach der WahlDie Bewegung der Macht

Barack Obama und seine Wahlkampfstrategen haben Millionen Menschen mobilisiert. Wie macht die Bewegung jetzt weiter? Gerät sie unter die Kontrolle des Weißen Hauses?

"Our time has come, our movement is real and change is coming to America" - "unsere Zeit ist gekommen, unsere Bewegung ist da, und der Wandel kommt nach Amerika", rief Barack Obama am Abend seines fulminanten Erfolgs bei den Vorwahlen am "Super Tuesday" seinen begeisterten Anhängern zu.

Was auf Deutsch längst nicht so gut klingt wie im englischen Original, hat als Versprechen, als Idee und zugleich als Aufforderung zum Mitmachen in den vergangenen zwei Jahren Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern elektrisiert. Nachdem Obama im Februar 2007 in Springfield/Illinois seine Kandidatur für die Präsidentschaft bekanntgegeben hatte, wurde aus seinem Wahlkampf eine Bewegung und aus der Bewegung eine unschlagbare Wahlkampfmaschine, wie sie die USA noch nicht gesehen hatten.

Die Wahlnacht, die Feiern auf den Straßen der US-amerikanischen Großstädte, die Tränen vor Freude, Rührung und historischer Ergriffenheit ob des ersten schwarzen US-Präsidenten, die glückliche und exorzistische Überwindung des Bush-Albtraumes - das war der Moment, auf den sie alle hingearbeitet haben.

Obama vermochte es, seine eigene Kandidatur mit den tiefsten Sehnsüchten vieler Bürger nach 200 Jahren US-Geschichte und acht Jahren George W. Bush zu verbinden. Zunächst war das einfach die Strategie von Obamas Chefstrategen David Axelrod. Der hatte Erfahrungen darin gesammelt, weiße Wähler dazu zu bringen, schwarze Kandidaten zu wählen. Jeder Einzelne sollte das Gefühl bekommen, Geschichte zu schreiben.

Es hat geklappt. Barack Obama ist zum kommenden Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Über zwei Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner haben in den letzten Monaten freiwillig und unbezahlt für diesen Wahlsieg gearbeitet. Sie haben sich bei Obamas Wahlkampfleuten gemeldet und haben sich organisieren lassen. Sie haben sich Telefonnummern von Wählern geben lassen, um sie anzurufen und ans Wählen zu erinnern; sie sind von Haus zu Haus gezogen; haben Geld gespendet und andere dazu gebracht, auch etwas zu geben. Der Wahlkampf hat Menschen zusammengebracht, die sich nie zuvor gesehen haben. Professoren und Schüler, Studenten und Kleinunternehmer saßen plötzlich an der phone bank nebeneinander und wählten sich die Finger wund.

Michael Kazin, Historiker an der Georgetown University, erzählt, wie er mit zwei afroamerikanischen Schülerinnen im Vorwahlkampf in Indiana unterwegs war: ",Furchtlos' ist das erste Wort, wenn ich sie beschreiben müsste. Keine der Frauen hatte je zuvor in einer politischen Kampagne mitgearbeitet. Aber sie standen vor jeder Tür mit mehr Selbstvertrauen, als ich es je entwickeln werde. ,Sie möchten über Gesundheitspolitik reden? Kein Problem.' - ,Sie glauben wirklich, dass der Irakkrieg eine gute Idee war?' ,Oh, was für ein süßes Mädchen Sie da haben, wie heißt sie?'"

Wenn so eine kollektive Anstrengung von Erfolg gekrönt ist, wird sie zum unzerstörbaren Mythos. Wie einst die Studentinnen und Studenten Nicaraguas, die 1979/80 monatelang aus den Städten aufs Land zogen, um den Campesino-Familien lesen und schreiben beizubringen, so kommen auch Obamas Wahlhelfer verändert von ihren Einsätzen zurück. Sie haben ihr Land kennen gelernt.

Stephen Gasteyer etwa, Soziologieprofessor aus Michigan, ist in diesem Sommer monatelang von Haus zu Haus gegangen, stand dann plötzlich vor den Türen jener, über die er sonst nur gelesen hatte, der Entlassenen, der Verlierer der Deindustrialisierung im Rostgürtel der USA, derjenigen, deren Haus gerade zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben wurde. Eine Erfahrung, die ihn tief beeindruckt hat.

Gasteyer hofft, dass sich die Bewegung weitertragen lässt. Neben unmittelbarem Wahlkampf war er auch Mitglied einer von etlichen inhaltlich fokussierten Arbeitsgruppen der Obama-Kampagne: "Wirtschaft und Handel in Michigan" ihr Thema. Das Ziel dieser Arbeitsgruppen war es, Thesenpapiere zu erstellen, aus denen dann "Talking Points" für Obama entstehen. Das ist schlau. Aber warum sollte die Gruppe, die das ausgearbeitet hat, sich eigentlich nicht weiterhin treffen und Politik für Michigan mitgestalten?

Auch Michael Kazin hofft darauf, dass Erfahrung, Engagement und Organisation nicht verloren gehen. Er sieht, schreibt er im Magazin Dissent, eine neue linke Bewegung, die Obama nutzen könne, um wichtige politische Inhalte auch durchzusetzen. Aber ist das denn realistisch? Muss man nicht davon ausgehen, dass mit dem irgendwann einsetzenden Regierungsalltag auch die Ernüchterung einsetzt?

Kazin widerspricht. "Wenn junge Leute erst mal wirklich mit ganzem Herzen dabei sind", sagt er am Telefon, "dann bleiben sie auch dabei." Im Übrigen sei es einfach auch ein Frevel, wenn man all das Potenzial verschenken würde, das da, unterstützt durch den genialen Aufbau der bis ins Lokale hinein verästelten Website www.barackobama.com, alles zusammengekommen sei.

Das aber braucht Organisation. Diejenigen etwa, die Gasteyer in Michigan zum Mitmachen bewogen haben, waren bezahlte Angestellte des Obama-Wahlkampfes. Doch das Büro, das für ein paar Monate gemietet worden war, wird gerade aufgelöst, und unter der Handynummer von Steve Ross, einem der beiden Organisatoren, mit denen Gasteyer zu tun hatte, hört man zunächst die Nachricht, dass diese Nummer nun nicht mehr funktioniere. Als Ross dann doch rangeht, will er nicht mit Journalisten sprechen, verweist auf den Pressesprecher. Der allerdings ruft nie zurück - das klingt eher nach Apparat als nach Bewegung und überhaupt nicht nach change.

"Dieser Sieg allein ist noch nicht der Wandel, den wir anstreben. Er ist nur die Chance für uns, diesen Wandel herbeizuführen. Und das kann nicht geschehen, wenn wir zurückkehren zu der Art, wie die Dinge waren. Es kann nicht ohne euch geschehen, ohne einen neuen Geist des Dienstes, einen neuen Opfergeist." Mit dieser Anlehnung an Kennedys berühmten Ausspruch ("Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst") hat Obama selbst in der Wahlnacht die Erwartungen an seine Anhänger formuliert. Aber sind sie bereit, dem zu folgen?

Der Publizist und demokratische Stratege Guy Teixeira, der 2002 das Buch "Die aufkommende demokratische Mehrheit" geschrieben hat und über soziale Bewegungen forscht, ist ganz sicher, dass die Bewegung zu erhalten ist. Zerstört werden könne sie nur, wenn Obama bei der Realisierung seiner Vorhaben scheitere. Andererseits werde der neue Präsident solch eine Bewegung brauchen, wenn er etwas durchsetzen wolle.

Spätestens das ist der Punkt, an dem Missverständnisse deutlich werden. Wie Kazin geht auch Teixeira davon aus, Obama werde versuchen, eine klar linke - im US-amerikanischen Sprachgebrauch: "liberale" - Agenda abzuarbeiten. Wie passt das zusammen mit Obamas oft wiederholtem, schon seit seiner Parteitagsrede von 2004 legendärem Versprechen, das tief gespaltene Land wieder zu einigen? Ja, lacht Michael Kazin, das ist ein Widerspruch.

Wohl wahr. Woher aber die Sicherheit, dass die vielen Wahlhelfer nicht gerade für dieses Versprechen gearbeitet haben? Woher die Gewissheit, dass man jene, die als unabhängige, moderate oder gar abtrünnige republikanische Wähler zu Obama gefunden haben, nunmehr wie eine Armee dirigieren könne, wo immer es die Durchsetzung politischer Vorhaben gerade erfordere?

Am Donnerstag wurde bekannt, dass neben Wahlkampfmanager David Plouffe auch Chefstratege David Axelrod, der geniale Architekt des Wahlsieges, als enger Berater Obamas ins Weiße Haus einziehen wird. Dazu wird als Pressesprecher Robert Gibbs kommen, der findige und streitbare Medienkoordinator des Obama-Wahlkampfes, der während der Vorwahlen auch schon mal das gesamte mitreisende Pressekorps im Flugzeug einschloss und nach Chicago flog, während sich Obama heimlich in Washington mit Hillary Clinton traf. Alles zusammengenommen, könnte über diesem Weißen Haus eine Parole stehen: "Message control", also die strikte Kontrolle über den Diskurs und über die Fußtruppen.

Kann man dann wirklich noch von einer Bewegung sprechen, wie wir sie kennen? Wohl kaum. Aber wer sich die Geschichte der letzten 20, 30 Jahre ansieht und den dezentralen, aber durchaus sehr kohärenten Ansatz der Konservativen, über verschiedenste Instrumente diskursive und kulturelle Hegemonie in den USA zu erreichen, der weiß, was den demokratischen Strategen vorschwebt. Mit einem immer enger werdenden Netz aus konservativen Radiosendern und Alternativmedien, evangelikalen Kirchen und Gruppierungen hatten diese "Bewegungs-Konservativen" über die Jahrzehnte jene neue Wertekultur geschaffen, die dann bei den Wahlen 2000 und insbesondere 2004 den Ausschlag für George W. Bush gab, das Land aber zutiefst gespalten hat.

So etwas geht sicher auch auf demokratischer Seite, aber es geht nur eigenständig, etwa in der Art, wie die Organisation moveon.org schon seit zehn Jahren politische Kampagnen betreibt. Obamas Strategen um Axelrod laufen Gefahr, die Bewegung zu ersticken, die sie selbst geschaffen haben.

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