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Archiv-Artikel

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BADEN-WÜRTTEMBERG Sinti und Roma werden trotz Winter abgeschoben

VON LENA MÜSSIGMANN

STUTTGART taz | Um 15.45 Uhr endete am Dienstag für 83 Menschen, darunter auch Kinder, die Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland: Ihr Flieger hob ab. Sie wurden vom Baden-Airpark in Baden-Württemberg nach Serbien und Mazedonien abgeschoben. Nach Behördenangaben handelt es sich vor allem um Sinti und Roma.

Ist das die „humane Abschiebepolitik“, von der Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann kürzlich beim Bundesparteitag gesprochen hatte? „Ja“, sagt Manne Lucha von der Grünen-Landtagsfraktion, der eine Projektgruppe seiner Partei zur Asylpolitik leitet. Mit der Zustimmung Kretschmanns zum Asylkompromiss hätten die aktuellen Abschiebungen nichts zu tun. „Das sind alles einzelfallgeprüfte Leute. Die standen auch schon nach altem gültigem Recht zur Abschiebung an“, so Lucha.

Ende September hatte Kretschmann im Bundesrat dem sogenannten Asylkompromiss zur Mehrheit verholfen. Dadurch bekommen in Deutschland anerkannte Flüchtlinge wie die Syrer zum Beispiel schneller eine Arbeitserlaubnis. „Das sind substanzielle Verbesserungen“, hatte Kretschmann sein Ja begründet. Allerdings gelten Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien nun als sichere Herkunftsländer, Asylanträge von Menschen, die von dort kommen, werden grundsätzlich abgelehnt. Die Parteispitze der Grünen hatte den Kompromiss als zynisch abgelehnt.

Von den am Dienstag Abgeschobenen lebten 26 in Baden-Württemberg, die übrigen 57 kamen aus anderen Bundesländern. Eigentlich sollten allein aus Baden-Württemberg 76 abgeschoben werden. Offenbar waren viele zuvor abgetaucht. Ein Sprecher der Polizei in Offenburg sagte, viele Betroffene hätten Anwälte und seien in der Regel darüber informiert, wann die Abschiebung droht. Kai Schmidt, ein Flüchtlingsunterstützer aus Karlsruhe, berichtete Gegenteiliges: Die Benachrichtigungen kämen verzögert an, weil Betroffene im Heim keinen eigenen Briefkasten hätten. Am Dienstag habe eine Anwältin erst bei Protesten gegen die Abschiebung erfahren, dass einer ihrer Mandanten im Flugzeug sitze.

Der Flug wurde laut Regierungspräsidium Karlsruhe von Behördenvertretern und Ärzten begleitet. Am Ziel würden die Menschen an Organisationen übergeben, mit denen man vorher Kontakt aufgenommen habe. Auch Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) flog mit, weil er sich vor Ort ein Bild machen wollte.

Menschenrechtler demonstrierten gegen die Abschiebungen – auch weil sie in die kalte Jahreszeit fallen. „Der Skandal ist, dass andere Bundesländer einen Winterabschiebestopp hinkriegen und Grün-Rot nicht“, sagte Flüchtlingsaktivist Schmidt. Karin Binder, Bundestagsabgeordnete der Linken aus Karlsruhe, kritisierte: „Wohl wissend, dass die von Deutschland abgeschobenen Roma in Serbien nicht willkommen sind, stigmatisiert und diskriminiert werden, verfrachtet man diese Menschen mitten im Winter in eine ungewisse Zukunft. Das ist in höchstem Maße inhuman.“ Auch die evangelischen Landesbischöfe in Baden-Württemberg, Jochen Cornelius-Bundschuh und Frank Otfried July, verlangten einen vorläufigen Abschiebestopp für die Winterzeit.

„Das sind keine Abschiebungen in die Kälte“, betont hingegen Manne Lucha. Er berichte zugleich aber auch von einem kleinen Verhandlungserfolg mit dem Innenministerium: Zwischen Weihnachten und dem 6. Januar werde niemand abgeschoben, sagt Lucha.

Mitte des Jahres hielten sich laut Innenministerium rund 12.000 geduldete, also „vollziehbar ausreisepflichtige Personen“ in Baden-Württemberg auf.