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Archiv-Artikel

Eilverfahren zur Abschreckung

GROSSBRITANNIEN Die Fließbandprozesse gegen Plünderer und Randalierer sollen politisch abschreckend wirken. Ob sie einer juristischen Überprüfung standhalten, ist fragwürdig

„Das alles riecht nach einer Reklameaktion der Tories“

MP David Ward

VON RALF SOTSCHECK

DUBLIN taz | Er hoffe, dass sein Urteil abschreckende Wirkung habe, sagte Richter Elgan Edwards. Am Dienstagabend verurteilte er im nordwestenglischen Cheshire den 20-jährigen Jordan B. und den zwei Jahre älteren Perry S.-K. zu jeweils vier Jahren Haft, weil sie auf dem sozialen Netzwerk Facebook unabhängig voneinander zur Gewalt aufgerufen hatten. „Macht Northwich nieder“, hatte B. geschrieben. S.-K. forderte: „Lasst uns in Latchford Randale machen.“ In beiden Orten ist es jedoch ruhig geblieben, keiner der beiden Angeklagten hatte an irgendwelchen Krawallen oder Plünderungen teilgenommen. Es sind die bisher härtesten Urteile, die in Zusammenhang mit den Unruhen in England gefällt worden sind.

Staatsanwalt Martin McRobb sagte, die beiden Angeklagten hätten angenommen, dass es in Ordnung sei, von ihrem sicheren Zuhause aus andere zur Randale anzustiften. „Sie haben sich geirrt“, fügte er hinzu. Die „Howard League for Penal Reform“ warnte hingegen vor unangemessenen Urteilen. „Die Eile, mit der man die Botschaft der Härte aussenden will, führt zu schlechten Urteilen, die von der Berufungsinstanz wieder aufgehoben werden“, sagte der Direktor der Liga, Andrew Neilson. „Man missachtet hier eins der Grundprinzipien der Justiz – nämlich das der Proportionalität. Urteile sollten der Schwere des Vergehens entsprechen.“

In einem anderen Verfahren ordnete ein Gericht in Croydon im Süden Londons vorgestern Untersuchungshaft für einen 16-Jährigen an, der wegen Mordes an einem 68-jährigen Rentner angeklagt ist. Richard Mannington Bowes war am Montag im Londoner Stadtteil Ealing niedergeschlagen worden, er starb drei Tage später. Der Fall wird vor dem Old Bailey verhandelt.

Bisher sind rund 1.700 Personen verhaftet worden, mehr als tausend davon wurden in Schnellverfahren angeklagt. Ein Ende der Prozesse ist noch nicht in Sicht. Tim Godwin, der amtierende Chef von Scotland Yard, sagte, Ziel der Polizei seien 3.000 Verurteilungen.

An den Ermittlungen sind 500 Beamte beteiligt, sie haben 20.000 Stunden Material aus Überwachungskameras zusammengetragen.

Der stellvertretende Premierminister Nick Clegg von den Liberalen Demokraten sagte, Plünderer sollen gezwungen werden, orangene Jacken und Hosen zu tragen, während sie bei den Aufräumarbeiten mithelfen. Viele seiner Parteikollegen halten dagegen weder etwas von der Vorgabe des Tory-Premierministers David Cameron, der „null Toleranz“ gefordert hatte, noch von der Initiative der Innenministerin Theresa May, die Ausgangssperren verhängen und Krawallmachern den Zugang zu sozialen Netzwerken verbieten will.

Der liberale Abgeordnete David Ward bezeichnete Pläne, den Plünderern die Sozialhilfe zu streichen, als „Blödsinn“. Seine Kollegin Tessa Munt sagte: „Das alles riecht nach einer Reklameaktion der Tories und nicht nach rationaler Politik. Das ist bescheuert, bescheuert, bescheuert.“