: Wenig Beistand auf der akademischen Zielgeraden
Magisterstudenten an der Humboldt-Uni klagen über schlechte Betreuung bei der Abschlussarbeit. Lehrstühle am Institut für Geschichte bleiben lange unbesetzt – obwohl Engpässe absehbar waren. Den verbleibenden Professoren fehlt die Zeit für ausführliche Gespräche mit den Studierenden
Für die letzen Magisterstudenten an der Humboldt-Universität (HU) tickt die Uhr: Vor dem Auslaufen ihrer Studiengänge wollen und müssen viele Studierende ihre Abschlussarbeit schreiben. Doch dafür sind zu wenig Professoren da. Am Institut für Geschichtswissenschaften sind 2 von 13 Lehrstühlen vakant, ein dritter wird jetzt neu besetzt.
„Die Engpässe sind vorübergehend und müssen durch die Kollegen aufgefangen werden“, beschwichtigt Institutsdirektor Michael Borgolte. Doch während sich die Uni über steigende Absolventenzahlen freut, stöhnen die verbleibenden Profs unter der Mehrarbeit. Die Zahl der Magisterabsolventen habe sich seit Mitte der 90er verdoppelt, sagt Gert Dietrich, Professor für Zeitgeschichte. Für Sprechstunden und ausführliche Beratung bleibt da wenig Zeit.
Hinter der studentischen Torschlusspanik steht der sogenannte Bologna-Prozess: Mit dem Ziel einer Standardisierung der europäischen Hochschulabschlüsse werden bis 2010 alle Magister- und Diplomstudiengänge auf Bachelor- und Masterstudiengänge umgestellt.
Glaubt man Direktor Borgolte, kann sich ein Professor an seinem Institut problemlos um 10 Absolventen neben dem Lehrbetrieb kümmern. Tatsächlich beschränken sich die Aufgaben der Professoren bei der Betreuung von Magisterarbeiten darauf, ein Thema zu vergeben, ein Gutachten zu erstellen und für Konsultationen erreichbar zu sein. „Einen Anspruch auf wöchentliche Betreuung haben die Studierenden nicht, sie sollen mit der Magisterarbeit ja nachweisen, dass sie selbstständig wissenschaftlich arbeiten können“, sagt Angela Walter, Leiterin der Abteilung Lehre an der HU. Die Betreuungslage sei sehr unterschiedlich. In Geschichte kämen durchschnittlich 7 Absolventen auf einen Professor, in Rechts- und Sozialwissenschaften sind es 17, in Mathematik und Naturwissenschaften nur 3.
Gert Dietrich betreut 10 bis 15 Magisterstudenten pro Semester bei ihrem Abschluss. Ende der 90er-Jahre seien es nur 5 bis 6 gewesen. Für den erhöhten Arbeitsaufwand gibt es keinerlei Ausgleich. Wie die Durststrecke durch fehlende Professoren entstanden ist, kann er nicht nachvollziehen. „Die Universitätsverwaltung, die Dekanate und die Institute wussten ja genau, wann die Kollegen in Ruhestand gehen, und hätten rechtzeitig für Ersatz sorgen können“, sagt Dietrich. Erst zum Frühjahr 2008 können die freien Stellen wieder besetzt werden. „Dieser Engpass darf nicht zu Kosten der Qualität der Lehre gehen. Dann wird eben mehr gearbeitet“, so der Professor. Manchmal komme man aber zu nichts anderem mehr außer Lehre und Betreuung. Mit steigenden Studentenzahlen seien auch die Lehrveranstaltungen immer stärker besucht.
Andreas Kohring, Studienberater für Geschichte an der HU, freut sich über das steigende Interesse der Studierenden. „In den letzten beiden Jahren ist die Absolventenzahl bei gleich bleibendem Personal um 25 Prozent gestiegen – das ist ein Erfolg.“ Ausreichende Betreuung sei gewährleistet, die Entwicklung gar nicht so dramatisch, findet Kohring: „Bei der Magisterbetreuung war und ist die Situation nicht schön. Aber dass es einen Mehraufwand geben wird, ist klar.“
Wenn der Geschichts- und Russistikstudent Rodrigo von Horn im Herbst seine Magisterarbeit in Angriff nimmt, stellt er sich auf „latent überarbeitete Profs“ ein. „In den Sprechstunden bleibt nicht mehr als fünf bis zehn Minuten Zeit.“ Auch Nils Stadje, Studierendenvertreter in der Fachschaft für Ur- und Frühgeschichte, bezeichnet die Betreuungslage als schlecht: „Es herrscht ein allgemeines Klima der Unzufriedenheit an der Universität.“ Da sein Studiengang eingestellt werden soll, werden seit zwei Jahren keine Studienanfänger mehr aufgenommen. Die restlichen 130 Magisterstudenten der Ur- und Frühgeschichte sollen noch bis 2009 von nur einem Professor und zwei Privatdozenten betreut werden. „Auf der einen Seite werden massiv Gelder für die Exzellenzinitiative ausgegeben, aber auf der anderen Seite wird durch die Sparpolitik der Universität an der Lehre gekürzt“, ärgert sich Stadje. JESSICA SCHOBER