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Archiv-Artikel

Das Großmannssucht-Syndrom

PISTOLE AUF DIE BRUST Geld her oder Jobs weg – das sind die Optionen bei der Deutschen Welle. Mitarbeiter fürchten um ihre Existenz, die Politik um Medienvielfalt. Heute ist das Thema im Bundestag

DW-Intendant Peter Limbourg liegt im Streit mit Reporter ohne Grenzen

VON JENS TWIEHAUS

Es war Mitte November bei einer Betriebsversammlung der Deutschen Welle (DW), als Knecht Ruprecht seine Rute auf den Tisch knallte. In der Rolle des Ruprecht war Intendant Peter Limbourg gekommen. Er hatte keine echte Rute dabei, seine Rute war Rhetorik: Limbourg drohte an, das deutsche, arabische und spanische TV-Programm einzustellen, außerdem zehn kleine Redaktionen dichtzumachen, die Radio und Websites in diversen Sprachen produzieren. Falls nicht bald Geld fließt. Der Knall saß.

Seit einem Monat herrscht bei den DW-Mitarbeitern die Angst um ihre Jobs. Am Montag zogen mehr als 500 Journalisten, Techniker und Verwaltungsleute mit Plakaten vor das Brandenburger Tor. Heute Abend ist die Welle Thema im Bundestag. Es geht um die „Aufgabenplanung“ der nächsten Jahre, aber eigentlich um die Grundfrage: Gibt es mehr Geld? Es sieht nicht gut aus.

Unbekannter Sender

Denn wem sagt der Begriff „Deutsche Welle“ etwas? Damit fängt das Dilemma der rund 3.000 MitarbeiterInnen an. Die DW ist ein deutscher Sender, beschäftigt Menschen aus 60 Nationen, ist aber in der Bundesrepublik unbekannt. Sie ist die „Stimme Deutschlands in der Welt“, wie es gern heißt. Ja, die Welle wird gehört, geguckt, geklickt; aber kaum von Menschen in Deutschland. In der jetzigen Situation ist es die schlechteste Basis für eine wirksame Kampagne. Obwohl mittlerweile knapp 200 prominente Kulturschaffende als Unterzeichner eines offenen Briefs gewonnen wurden.

Die Intendanten-Ankündigung ist deshalb nicht nur „Geiselhaft“ und ein Zocken mit Existenzen, wie es Personalvertreter Daniel Scheschkewitz formuliert. Sie ist auch ein Signal an die Politik. Eine kalkulierte Provokation. Bei 286 Millionen Euro liegt der jährliche Zuschuss des Bundes. Die Senderspitze spricht in offiziellen Dokumenten von einer „strukturellen Unterfinanzierung“, was bedeutet: Wir können es drehen und wenden, doch es reicht hinten und vorne nicht, bald ist Schluss.

Auf Nachfrage beruhigt Kommunikationschef Christoph Jumpelt. Der Intendant habe mögliche Konsequenzen aufgezeigt, es gebe keine Beschlüsse, lineare Fernsehkanäle abzuschalten oder einzelne Sprachenredaktionen zu schließen. Zugleich gibt er zu bedenken: Lediglich 250.000 Zuschauer pro Woche nutzten die deutschen TV-Angebote, aber 30 Millionen die englischen. Ob das stimmt, ist nicht objektiv überprüfbar. Die Zahlen beruhen auf Befragungen und Hochrechnungen.

Doch aktuell geht es nicht nur ums Sparen, es geht auch um die Ausrichtung. Intendant Limbourg plant einen Ausbau des englischen TV-Programms. Er will BBC und CNN einen deutschen Sparringspartner gegenüberstellen. Ein wirrer Gedanke angesichts des Sparzwangs, aber Union und SPD folgen begeistert. Man nennt so etwas: Großmannssucht-Syndrom.

Klaus Enderle bereitet das Sorgen. Er ist Vorsitzender des Berliner Personalrats und koordiniert den Protest, denn die bedrohten TV-Programme entstehen in der Hauptstadt. „Wenn die Deutsche Welle sich voll aufs englische Programm konzentriert und nicht mehr auf Deutsch sendet, dann verliert sie mittelfristig die Akzeptanz in Deutschland und schießt sich am Ende ins eigene Bein“, sagt er. Nicht alle sehen das so. In den anderssprachigen Redaktionen flüstern sie, man könne das deutsche TV-Programm ruhig abstellen. Denn um die Demokratie in Afghanistan oder Angola zu fördern, brauche man kein deutsches Programm. Eines wollen alle MitarbeiterInnen: die Vielfalt der Sprachen erhalten. 30 Sprachen spricht die DW.

„Sie zeichnet sich doch im Wesentlichen durch ihre Regionalsprachen aus“, sagt auch Grünen-Politikerin Tabea Rößner, die Vielfalt helfe, möglichst viele Menschen zu erreichen. Das ist das Gegenteil zu Limbourgs Position, der über die englische Sprache möglichst viel erreichen will.

Chinesischer Staatsfunk

Neben Geldproblemen gibt es einen weiteren Gefechtsplatz. Intendant Limbourg liegt im Streit mit Reporter ohne Grenzen. Die Organisation sieht mit großer Sorge, dass Limbourg verstärkt mit dem chinesischen Staatsfunk kooperieren will. Der Vorstand forderte ihn schließlich auf, das Kuratorium der Organisation zu verlassen. Er tat es, rückte nicht von seinem China-Kurs ab, 60 verärgerte DW-Mitarbeiter traten der Organisation demonstrativ bei.

Seitdem herrscht Funkstille. Reporter ohne Grenzen will die Beziehungen aufrechterhalten, Geschäftsführer Christian Mihr sagt aber auch: „Der Ball liegt bei der Deutschen Welle.“ Dort ist man bockig, schimpft, die Organisation messe mit zweierlei Maß. Auch andere Kuratoriumsmitglieder kooperierten schließlich mit den Chinesen. „Kein stichhaltiges Argument“, ruft Mihr zurück. Die verzwackte Lage ist ein Sinnbild für die Gesamtsituation. Wo ist der echte Knecht Ruprecht, um mal ordentlich auf den Tisch zu hauen?