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Archiv-Artikel

„Das sind keine Muslime“

TERROR Wir sind Anschläge gewöhnt, sagt die 18-jährige Pakistanerin Dua Absar. Aber der Terrorakt in Peschawar, bei dem über 130 Kinder starben, sei ein Weckruf für die Nation

Dua Absar

■ 18 Jahre alt, ist angehende Journalistin. Sie lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Islamabad. Sie will immer in Pakistan bleiben.

AUS ISLAMABAD DUA ABSAR

Zu dieser Jahreszeit stehen Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt zu den Klängen von „Jingle Bells“ auf. Ihre Eltern rufen ihnen zu, dass sie sich beeilen sollen, um rechtzeitig zur Schule zu kommen. Sie erwarten leckeren Toast zum Frühstück oder schmackhafte Eier. Und wir? Wenn wir einen Tag nach dem Anschlag aufwachen, hallen in unseren Ohren die Sirenen der Krankenwagen nach. Die Schreie von Kindern und die tödlichen Gewehrschüsse, die ein Kind nach dem anderen töteten.

Wir sind an Terroranschläge gewöhnt. Aber dieses Mal ist etwas anders. Das Blutvergießen ging zu weit. Die Täter haben nicht kapiert, wie sehr unser Land in den vergangenen Jahren gelitten hat. Und dass wir die Gewalt jetzt nicht mehr tolerieren werden. Dass sie dafür bezahlen müssen.

Eigentlich hat sich dieser 16. Dezember, dieser Wendepunkt unserer Geschichte, angefühlt wie ein ganz normaler Dienstagmorgen. Wir hatten gerade den brutalen Protest in Lahore überstanden, wo auch Journalisten erneut gedemütigt worden waren. Und dann kamen diese furchtbaren Nachrichten. Ich war gerade mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder zu Hause, als wir die Nachricht hörten. Es war überall, auf jedem Sender. Die schreckliche Situation in den Krankenhäusern, die die Kinder behandelten. Und wo so viele Kinder starben.

Auf Facebook erhielt ich sofort Nachrichten. Es wurden immer mehr. Die Menschen drückten den betroffenen Familien ihr Mitgefühl aus.

Meine Freundinnen und ich begannen sofort darüber zu diskutieren, was das bedeutet. Für unser Land, für uns. Ich bin mit der Schule fertig und will bald zur Universität, um wie mein Vater Journalist zu werden. Damit ich, wenn ich erwachsen bin, die Wahrheit sagen kann. Das will ich tun. Ich will immer in Pakistan bleiben, um die Wahrheit zu sagen.

Meine Mutter konnte nicht aufhören zu weinen. Sie musste an all die Mütter denken, die ihre Kinder in diesem schrecklichen Moment verloren haben. Am Anfang sollten es 85 gewesen sein. Es wurden immer mehr.

Wir blieben den ganzen Tag vor dem Fernsehen sitzen. Hörten von Reportern, dass die Terroristen gewaltsam in die Schule eingedrungen waren. Dass sie Kinder gefragt hätten, welche Eltern in der Armee arbeiten würden. Die, die wegen ihres jungen Alters noch so gutgläubig waren, ihre Hände zu heben, wurden sofort in den Kopf geschossen. Wenn die Terroristen nur kapieren würden, welche Sünde sie begangen haben, sie zerstören die Jugend, die Zukunft dieses Landes. Diese Terroristen sind keine Muslime, nicht einmal Menschen. Kein Mensch mit einem gesunden Geist kann das Herz haben, so brutal unschuldige Kinder zu ermorden.

Wenn sie sagen, sie kämpfen im Namen der Religion, tun sie das genaue Gegenteil. Unsere Religion bedeutet Friede. Unser Glaube sagt uns, dass Bildung wichtig ist, für Männer und Frauen gleichermaßen. Für mich bedeutet, Muslima zu sein, alles. Mein Glaube ist nicht nur eine religiöse Praxis. Es ist meine Identität. Es ist etwas, wofür ich lebe. Wir Muslime wollen wie jeder andere Mensch Frieden auf der Welt. Wir dürfen nicht verantwortlich gemacht werden für diese Terroristen. Diese Leute tun so, als wüssten sie alles. Aber sie wissen gar nichts. Sie sind die Menschen mit den leersten Köpfen auf der ganzen Welt.

Ich weiß eins nun genau: Das ist ein Weckruf für unsere ganze Nation. Jene, die seit so vielen Jahren gefangen ist in politischen Kämpfen, eine Nation, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und gezwungen wurde, Gewalt zu akzeptieren, um die Dinge zu verändern, die verändert werden müssen. Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen jetzt verstehen, dass sie ihre Unterscheide beiseitelegen müssen, und nur noch als Pakistani denken sollen.

Das Deprimierendste ist für mich, dass jetzt wieder das Bild entsteht, mein Land sei so gewalttätig. Das Land, das so viele Töchter und Söhne im Namen des Terrors verloren hat. Ich habe viele internationale Freunde. Sie fragen mich, ob bei uns alles okay ist. Ich weiß gar nicht, ob ich froh oder traurig sein soll. Außerhalb von Pakistan haben die Menschen viel mehr Angst um meine Sicherheit hier in Islamabad als hier. Das einzig Tröstliche ist, dass dieses schreckliche Blutvergießen die Welt zusammenbringt und es Mitgefühl gibt für das, was wir gerade erleben.

Wenn sie sagen, sie kämpfen im Namen der Religion, tun sie das genaue Gegenteil

Die Menschen hier haben gelernt, für ihre Rechte einzustehen und zusammenzustehen. Statt unserer Gesichter haben wir auf Facebook jetzt eine schwarze Fläche, um diese neue Verbundenheit zu zeigen.

Und wir wollen alle ermutigen, persönliche und politische Unterscheide beiseitezulassen und eins zu werden.

Meine Großeltern haben mir immer schreckliche Geschichten erzählt von 1947, als Pakistan und Indien sich trennten, und dass diese Angst noch immer ein Teil von ihnen ist. Ich habe das Gefühl, dass ich in 50 Jahren dasselbe sagen werde, was sie immer gesagt haben: „Andere träumen von Erfolg. Wir träumen nur davon, am Leben zu bleiben.“

(Übersetzung: Ines Pohl)